Freitag, 29. Mai 2020

Seh-Empfehlung 2: Das alte finstere Haus (The Old Dark House, 1932)



The Old Dark House (dt.: Das alte finstere Haus / Das Haus des Grauens; USA 1932)
Mit Boris Karloff, Melvyn Douglas, Ernest Thesiger, Gloria Stuart, Charles Laughton, Eva Moore, Raymond Massey, u.a.
Drehbuch: Benn W. Levy und E.C. Sheriff nach dem Roman "Benighted" von J.B. Priestley
Regie: James Whale
Genres: Komödie, Horror
Studio: Universal
Kino/TV-Auswertung im deutschsprachigen Raum: TV-Premiere im März 1989
Dauer: 73 min

Farbe: s/w

Eine Gruppe von Menschen sucht in einer gottverlassenen Gegend Unterschlupf vor einem sintflutartigen nächtlichen Unwetter. Die nächstmögliche Gelegenheit ist ein einsames altes, schiefes unheimlich finsteres Haus. Die Schutzsuchenden werden widerwillig eingelassen - und bald nimmt das Unheil seinen Lauf.
Nein, ich beschreibe nicht die Eingangssequenz der Rocky Horror Picture Show. Diese war eine Parodie auf die vielen Geisterhaus-Filme, die durch die gesamte Kinogeschichte... geistern. Nicht selten beginnen diese Werke mit dem obligaten Gewitter.
James Whales Version, The Old Dark House, die hier näher betrachtet werden soll, war nicht die erste dieses Horrorfilm-Subgenres, wie oft vermutet wird. Bereits in der Stummfilmzeit wurde das Sujet gerne benutzt, um dem Publikum einen wohligen Schauer über den Rücken zu jagen. Doch Whales Version gehört zu dessen aussergewöhnlichsten und prägnantesten Vertretern; einige halten es sogar für die beste.


Ein eigenes Filmgenre?
Lange Zeit galt der Film als verschollen. Er flopte 1932 an der Kinokasse, verschwand kurz nach seiner Premiere aus den Kinos und wurde im Archiv vergessen. In den 70er-Jahren entdeckte der
Regisseur Curtis Harrington die Rollen wieder, der Film wurde restauriert und erneut zugänglich gemacht. Seither gilt er bei Horrorfans als wiederentdecktes Meisterwerk. Er blieb aber stets im Schatten der berühmteren Genre-Werke seines Machers: Frankenstein (1931), Der Unsichtbare (1933) und Frankensteins Braut (1935).

The Old Dark House unterscheidet sich in vielem von anderen Erzeugnissen des Genres. Einer der Unterschiede liegt im Umstand, dass er gar nicht richtig ins Horror-Genre passt. Dafür steckt zu viel Komödie drin. Aber auch in die Komödien-Schublade lässt er sich nicht einordnen - dafür ist er zu düster. Eigentlich passt er in kein Genre richtig.
Die markante Handschrift des Regisseurs hält das Werk trotzdem zusammen und fügt es zu einer Einheit - wenn nicht gar zu einem eigenen Genre (das somit nur aus diesem Film bestünde). James Whale inszeniert die alte Geschichte mit britischem Witz und Understatement, dicker Grusel-Atmosphäre, und vor allem mit viel Sinn fürs Bizarre. Man könnte The Old Dark House durchaus und mit einigem Recht als frühe Parodie des Haunted-House-Genres bezeichnen - aber auch dies greift zu kurz und liegt leicht daneben, obwohl es Szenen gibt, welche 
diese Behauptung deutlich unterstreichen. Einmal etwa sehen wir Gloria Stuart das Wohnzimmer betreten, ihr Schatten an der Wand wächst dabei ins riesenhafte - was in der Frühzeit des Films ein probates Mittel war, um eine bedrohliche Atmosphäre zu schaffen. Stuart wendet sich langsam dem Schatten zu - und fängt an, alberne Schattenspielchen zu machen.  

Das Personal
Die Gegenüberstellung des Personals in diesem Film ist interessant und erzeugt eine seltsame Spannung: Die beiden Menschengruppen, die sich zu verschiedenen Zeiten am selben Abend in das alte, finstere Haus flüchten, bestehen aus insgesamt fünf Leuten, drei Männer und zwei Frauen. Hinzu kommen zwei Hausbewohner (später sollen noch zwei weitere dazukommen). Die Flüchtlinge sind als ganz normale Filmfiguren konzipiert, sie könnten einer der damals populären Gesellschaftskomödie entsprungen sein, ebenso ihre Dialoge, die vor Witz und Geist sprühen.
Die Hausbewohner hingegen, gespielt von Ernest Thesiger und Eva Moore, scheinen aus einem anderen Genre zu stammen - aus jenem der Karikatur oder der Comics. Sie heben sich optisch von den anderen ab: Er bleich, hohlwangig und glotzäugig, sie pummelig, verkrüppelt, verkniffen. Ihr Haus mit seinen hohen Räumen, den langen, leeren Gängen, den verwinkelten Treppenfluchten, in dem der Film bis auf ein paar wenige Szenen spielt, scheint ebenfalls nicht von dieser Welt. Wo sind die fünf Leute da bloss hineingeraten? Das scheint sie nicht weiter zu kümmern, ihr Leben ist eine nie endende Party, die auch in ihrem seltsamen Nachtlager weitergeht.


Im Grunde setzt The Old Dark House der arglosen Geld-Klasse jener Zeit die Nachwehen des ersten Weltkrieges entgegen. Diese Gegenüberstellung ist bereits in der Vorlage so angelegt. Der Autor des titelgebenden Romans, J.B. Priestley sagte über die Hausbewohner, die Familie Femm: "Tatsächlich handelt es sich [bei den Femms] um als Menschen verkleidete Nachkriegs-Pessimismen".
Aus dieser Gegenüberstellung zweier Extreme - hier die zwanghafte Fröhlichkeit der Nachkriegsgeneration, da der Irrwitz und das Groteske der (verdrängten) Vergangenheit - bezieht Whales Film einen grossen Teil seiner Faszination. Es ist, als würde er mit dem Autor sagen: Jetzt jagen wir diesen jungen Gecken mal einen tüchtigen Schrecken ein.


Das gelingt sogar, denn mit zunehmender Filmdauer verwandelt sich die Notunterkunft in ein Tollhaus. Es beginnt mit kleinen Irritationen und steigert sich über bedrohliche Situationen und kurze Schreckmomente bis zum Ausbruch des Wahnsinns.
Am Ende ist die Jugend zwar etwas belämmert, doch ein strahlender Morgen bricht an und der Irrsinn scheint gebannt. Jedenfalls kann man weiterziehen, das alte Haus hinter sich lassen und hoffen, dass man nie wieder etwas davon hören wird.
Wenn nur der Hausherr beim Abschied nicht so überaus zufrieden grinsen würde...


Vorlage und Umsetzung
Nachkriegs-Pessimismen: Ernest Thesiger & Eva Moore
Von Priestley ist heute noch vor allem ein Bühnenwerk bekannt: An Inspector Calls; obwohl Benighted, Priestleys zweites literarisches Werk und Grundlage von 
The Old Dark House als Roman konzipiert ist, haftet dem Film und der Vorlage etwas Bühnenhaftes an. Stellenweise hat man den Eindruck, die Autoren von Arsen und Spitzenhäubchen hätten die Niederschrift nach der Sichtung von Whales Film oder der Lektüre von Priestleys Roman begonnen. 


The Old Dark House ist ein filmischer Spass, der mit seinem altmodischen Gruselkonzept
auf moderne Zuschauer zunächst befremdlich wirken mag. Wer sich aber darauf einlässt,

bekommt eine herrlich originelle Schauer-Schnurre serviert, die auf allen Ebenen bestens funktioniert. Die Regie ist schlicht grandios - was Whale alles einfällt, um die Irritation des Publikums noch im Kleinsten subtil zu evozieren! Verzerrende Spiegel sind da noch das gängigste Mittel. Etwas anderes sind die absonderlichen Verhaltensweisen der Hausherrin und ihre seltsam anmutende Hassliebe für die hereingeschneiten jungen Frauen. Dann lässt Whale den 102-jährigen sterbenden Patriarchen von einer Frau spielen - die noch dazu im Abspann unter einem männlichen Namen aufgeführt wird.
Erst am Ende rührt der Regisseur mit der grossen Kelle an, und auch das gelingt ihm, weil er den Witz und das Groteske nie aus den Augen verliert.

Unterstützt wird er dabei von einer hervorragenden Schauspieltruppe, die den Spass, den der Regisseur bei der Sache offenbar hatte, sichtlich teilt. 


Das Haus ist der Star
Vor und hinter der Kamera
Es fällt auf, dass der Film keine Hauptfigur hat. Die
(neben dem titelgebenden Haus) eigentliche, heimliche Hauptfigur, welche für die unheimliche Atmosphäre verantwortlich ist, tritt erst ganz am Ende in Erscheinung. Ansonsten teilen sich alle die Auftrittszeit ungefähr paritätisch.
Vor diesem Hintergrund erstaunt die prominente Erwähnung Boris Karloffs im Titelvorspann; sein Name steht an oberster Stelle - übrigens auch auf den Plakaten. Dabei hat er eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Im Film erscheint er als hünenhafter, taubstummer, höchstens Grunzlaute ausstossender, bedrohlich wirkender Diener. Melvyn Douglas, dessen Name an zweiter Stelle folgt, hat da mit seinen unablässigen ironischen Kommentaren schon wesentlich mehr zu tun.
Das Glanzstück des Films ist aber der britische Charakterdarsteller Ernest Thesiger als verängstigter, leicht tuntenhafter Horace Femm. Mit mimischer Präzision erreicht er das

Kunststück, banale Sätze wie "Have a potato" zu komödiantischen Kabinettstückchen umzumünzen.

Ich vermute, The Old Dark House ist James Whales persönlichster, weil kompromisslosester Film. Es finden sich Sequenzen und Einfälle darin, die auch im Hollywood vor dem Hays-Code ungewöhnlich waren. So scheint das (absichtlich schlecht kaschierte) Spiel mit den geschlechtlichen Identitäten und Vorlieben direkt Whales selbstverständlich und kompromisslos gelebte Homosexualität zu spiegeln oder zu kommentieren. Sicher ist allerdings nur: Dieses Spiel findet statt. Was Whale damit ausdrücken wollte ausser dem Spass, den er daran hatte, bleibt im Dunkeln des alten finsteren Hauses verborgen.

Gloria Stuart (und Karloffs Hand)
Zwei Nachbemerkungen
Die amerikanische Theaterschauspielerin Gloria Stuart hatte ihr Filmdebüt im Drehjahr von The Old Dark House. Sie brachte es zu einigem Ruhm, zog sich aber 1946 aus dem Filmgeschäft zurück, um sich wieder ausschliesslich dem Theater zu widmen.
Dass ihr Name heute kaum mehr jemandem etwas sagt, liegt allerdings eher daran, dass er etwas nichtssagend ist, denn praktisch jeder kennt Gloria Stuart. Sie war als gealterte Rose in der Rahmenhandlung von James Camerons Megahit Titanic prominent besetz.
Nach einigen weiteren Filmrollen verstarb Gloria Stuart 2010 im Alter von 100 Jahren. 


Im hier besprochenen Film gibt es gegen Ende eine deftige Prügelei - die aber seltsam plump und sogar läppisch wirkt. Der Grund: Die Kinnhaken und Faustschläge sind nicht hörbar. Es knallt nicht, wenn eine Faust in einem Gesicht landet. Dasselbe ist mir im vor ein paar Wochen geschauten Film Night Court ebenfalls aufgefallen. Beide Filme haben dasselbe Erscheinungsjahr. Das führt mich zur These, dass die für uns heute selbstverständlichen, jeweils im Nachhinein beigefügten Prügel-Geräuscheffekte damals noch nicht erfunden waren.

Wo schaut man den Film?
Eine deutsche DVD dieses alten Filmes ist zwar greifbar, Bild- und Tonqualität lassen aber offenbar zu wünschen übrig. Da empfehle ich lieber die wunderschön restaurierte Doppel-Edition (DVD und Blu-ray) von Masters of Cinema aus England, die neben einem restaurierten Bild in 4k-Qualität auch mit einer ganzen Wagenladung schöner Extras aufwartet.

1 Kommentar:

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