Sonntag, 20. Dezember 2020

Kurzkritiken: Greenland, Filmverrückt, Schöne Bescherung

Greenland (2020) Mit Gerard Butler, Morena Baccarin, Roger Dale Floyd, Scott Glenn u.a.
Regie: Ric Roman Waugh
Drehbuch: Chris Sparling
E
in US-Film, in dem eine weisse Familie im Zentrum steht und - das gibt es also noch, obwohl Hollywood sich gerade im Diversity-, Gender-, Frauenquoten- und Black-Lifes-Matter-Hype gefällt.
Ist der Grund für die vielen Kritiker-Verrisse vielleicht darin zu finden? Im Umstand, dass Greenland nicht ins vom Zeitgeist vorgeschriebene Gesinnungsmuster passt? Wirklich schlecht ist Ric Roman Waughs Film nämlich nicht. Es gibt darin ein paar Logiklöcher, zudem kann ich nicht überprüfen, ob der Streifen den neusten Stand der Wissenschaft wiederspiegelt oder nicht - aber das will ich auch gar nicht, da sich wissenschaftliche Exaktheit und stringente filmische Dramaturgie eigentlich gar nicht vertragen.
Greenland
 ist ein Katastrophenfilm - und somit dem Unterhaltungsgenre zuzuordnen. In seinem Zentrum steht eine amerikanische Familie, die dank Ehemüdigkeit der Eltern kurz davor steht, auseinanderzubrechen - für den neunjährigen Nathan (Roger Dale Floyd) eine Katastrophe. Die innere Katastrophe wird gespiegelt durch eine äussere - der riesige Komet, der laut Berechnungen eigentlich an der Erde hätte vorbeizischen sollen, rast direkt auf sie zu. Nichts kann ihn und seine tausende von Splittern stoppen, die Welt ins Chaos zu stürzen.
Fast von einem Moment zum nächsten kippt die saubere kleinstädtische Fassaden-Idylle in einen Albtraum aus Zerstörung und Chaos, die hirnerweichende Zufriedenheit des allgemeinen Wohlstandes weicht dem Kampf ums nackte Überleben. Für die beiden Eheleute im Streit (Gerard Butler und Morena Baccarin) zählt, nachdem jegliche Sicherheit und Perspektive weggebröckelt ist, plötzlich nichts anderes mehr als der Zusammenhalt der Familie und die Unversehrtheit ihrer Mitglieder. Die Beziehungskrise erscheint vor dem Hintergrund des drohenden Weltenbrandes als Luxusproblem.
Man rauft sich zusammen und durchlebt all die schrecklichen Momente, die so eine existentielle Bedrohung mit sich bringt - die meisten haben mit Mitmenschen zu tun, denen die drohende Katastrophe Tugenden wie Nächstenliebe und Mitgefühl ausgetrieben hat. Jeder ist sich selbst der nächste - davor sind auch unsere beiden Hauptfiguren nicht gefeit, und das ist auch gut so, denn alles andere wäre unglaubwürdig.
Greenland
ist somit auf zwei Schienen spannend: Einerseits dank der inneren Entwicklung der Hauptfiguren, andererseits dank der Action, die so ein Katastrophenszenarium mit sich bringt. Und diese ist hier sehr gut in Szene gesetzt!
Natürlich bleibt vieles oberflächlich, was in erster Linie mit der Kürze zu tun hat, mit der das schwierige Thema in einem Kinofilm abgehandelt werden muss. Als TV-Miniserie hätte derselbe Stoff wesentlich tiefer und umfassender ausgearbeitet werden können.
Greenland ist gut geschrieben und gespielt und solide inszeniert. Kein schlechter Film!
Greenland
lief vor dem Lockdown in den Kinos; dort würde er noch immer laufen...
 

Filmverrückt (Movie Crazy, 1932)
Mit Harold Lloyd, Constance Cummings, Kenneth Thomson, Spencer Charters u.a.
Regie: Clyde Bruckman & Harold Lloyd
Drehbuch: Vincent Lawrence
Der filmverrückte Tollpatsch Harold Hall (Lloyd) fährt nach Hollywood, im Irrglauben, für den Film entdeckt worden zu sein. Dort hinterlässt er nichts als Chaos und verliebt sich in eine hübsche Schauspielerin...
Harold Lloyds dritter Tonfilm zählt für viele zu seinen besten Nicht-Stummfilmen. Das mag sein, aber einem Vergleich zu seinen grandiosen Stummfilm-Komödien hält er trotzdem nicht stand; die Gründe dafür habe ich in meiner Besprechung seines ersten Tonfilms (Welcome Danger) bereits erläutert. Drei Jahre danach besann er sich zwar verstärkt auf seine Fähigkeiten im visuellen Bereich und es gibt Sequenzen, die funktionieren, doch die grandios inszenierte dialoglose Prügelsequenz am Schluss leidet darunter, dass jegliche Musikuntermalung fehlt. Der fast lautlos ausgefochtene Kampf erscheint auf diese Weise ernsthaft statt komisch und das Fehlen von Prügelgeräuschen - die 1932 noch nicht entdeckt worden waren - bremst seine Dynamik erheblich.
Wie bereits Welcome Danger krankt zudem auch Movie Crazy an zu vielen und zu langen schlechten Dialogsequenzen, welche den Film künstlich in die Länge und in die Langeweile ziehen. So ist die Liebesgeschichte zwischen Lloyd und Constance Cummings ein unergiebiges, ermüdendes Hin- und Her ohne wirkliche Komik.
Movie Crazy befindet sich in der hierzulande erschienen, inzwischen aber vergriffenen 10-DVD-Box "Harold Lloyd Edition", in welcher neben fast allen Tonfilmen des Komikers auch die grandiosen Stummfilm-Klassiker zu finden sind.

Schöne Bescherung (National Lampoon's Christmas Vacation, 1989)
Mit Chevy Chase, Beverly D'Angelo, Juliette Lewis, Johnny Galecki, Randy Quaid, Diane Ladd, E.G. Marshall u.a.
Regie: Jeremiah Chechik
Drehbuch: John Hughes
Im Jahre 1929 erschien ein Film namens Big Business, in welchem Stan Laurel und Oliver Hardy als Weihnachtsbaumverkäufer auftraten. Trotz der weihnachtlichen Thematik handelt der Film von Chaos und Zerstörung. Genau 70 Jahre später entstand mit
National Lampoon's Christmas Vacation ein Film im Geiste des alten Stan & Ollie-Klassikers. Hier versucht ein braver Familienvater (Chevy Chase), eine schöne Familienweihnacht auf die Beine zu stellen - am Schluss liegt das Haus praktisch in Trümmern. Gekonnt inszenierter Slapstick à la Stan & Ollie ist in dieser Komödie ebenso zu finden wie feines schauspielerisches Understatement, hier wie dort halten sich das Grobe und das Feine die Waage. Das funktioniert wunderbar, nicht zuletzt dank eines gut gearbeiteten Drehbuchs, das mit einigen köstlichen Episoden und einer guten Portion anarchischem Humor aufwartet, hervorragenden schauspielerischen Leistungen und einer Regie, die das alles inszenatorisch schnörkellos auf den Punkt bringt.
In den USA gehört der Film zu den Festtagsklassikern - ein Blick lohnt sich auch für Nicht-Amerikaner. Er ist bei uns auf DVD und Blu-ray erhältlich, zudem führen ihn mehrere Streaming-Dienste in ihrem Programm. Fröhliche Festtage!


Montag, 14. Dezember 2020

Seh-Empfehlung 17: Dido Elizabeth Belle (Belle, 2013)


Originaltitel: Belle
Deutscher Titel: Dido Elisabeth Belle
Mit Gugu Mbatha-Raw, Tom Wilkinson, Sam Reid, Emily Watson, Sarah Gadon, Penelope Wilton, Miranda Richardson, Matthew Goode, u.a.
Regie: Amma Asante
Drehbuch: Misan Sagay
Grossbritannien 2013
Dauer: 100 min

Das Plakat zu diesem Film ist simpel und trotzdem äusserst wirkungsvoll. Es zeigt eine junge Frau in einem teuren, mit Stickereinen reich verzierten pfirsichfarbenen Kleid, die mitten in einem eleganten Salon steht. Eine Jane Austen-Verfilmung, denkt man auf den ersten Blick. Doch dann bemerkt das Auge, dass die junge Frau dunkelhäutig ist. Das Interesse ist geweckt.

Das Plakat ist in seiner Simplizität hervorragend, denn es fasst den Film zusammen: Im Stil der Jane-Austen-Verfilmungen gehalten, vermittelt er ein Bild jener Epoche und der Sitten und Gebräuche der damaligen feinen Gesellschaft - und im Zentrum steht eine dunkelhäutige Frau, die in dieser Gesellschaft eigentlich nichts verloren hatte.

Die Geschichte, die hier erzählt wird, orientiert sich an historischen Persönlichkeiten und wurde durch ein Gemälde inspiriert (siehe unten).
Dido Elisabeth Belle (Gugu Mbatha-Raw), die Tochter eines englischen Admirals und einer dunkelhäutigen Sklavin,
von ihrem Vater rechtmässig anerkannt, wächst nach dessen Tod im Haus des Englischen obersten Richters Lord Mansfield (Tom Wilkinson) auf. Nach anfänglichen Widerständen gegen die "Mulattin" schliesst die Familie Belle allmählich ins Herz und sie wächst in der feinen Gesellschaftsschicht auf. Darüber rümpft natürlich der Rest des Adels die Nase - Dunkelhäutige waren in den noblen Häusern bestenfalls als Bedienstete geduldet, zudem war der Sklavenhandel damals noch in vollem Gange.
Belles Geschichte wird im Film mit einem in England berühmten Gerichtsfall verwoben, der dort das Ende der Sklaverei einläutete. Lord Mansfield muss dabei entscheiden, ob ertrunkene (oder ersäufte?) Sklaven als "verlorenes Frachtgut" zu einem Versicherungsfall werden können oder nicht. Als Belle von dem Fall erfährt, vertieft sie sich immer mehr darin. Ihre Bekanntschaft mit einem jungen Anwalt (Sam Reid), der sich auch für den Fall interessiert, gewinnt durch das gemeinsame Interesse an Intensität...

Amma Asantes Film ist ganz und gar auf Schönheit angelegt - in Wort und Bild. Die Regisseurin legte Wert darauf, die besten Ausstatter des Gewerbes für ihr Werk zu gewinnen, was ihr zweifellos gelang: Ausstattung, Kostüme, Bauten und Kamera sind vom Feinsten, Belle ist eine einzige Augenweide! Damit knüpft Asante bewusst an das Austen-Feeling der bekannten einschlägigen Verfilmungen an, was die thematische Diskrepanz zu jenen Werken noch stärker hervorgeben sollte. Belle bildet den "schönen Schein" ab, der zu dieser Zeit und dieser Gesellschaftsschicht gehörte. Die Abgründigkeit fehlt den Bildern, aber nicht dem Text - auch das hervorragende Drehbuch kopiert gekonnt den Ton bekannter Jane Austen-Verfilmungen, und die Inszenierung folgt diesem Ansatz.
Das Drehbuch entlarvt anhand des Widerspruchs-in-sich, einer farbigen Adligen, die Absurdität der Konventionen jener Zeit - noch deutlicher als die bekannten Jane-Austen-Verfilmungen und es zeigt auf, dass auch Weisse ausgegrenzt wurden, wenn sie nicht zur richtigen Schicht gehörten oder wenn sie als Adlige die Konvention gebrochen hatten. Damit wird die Kernaussage des Films unterstrichen: Alle Menschen sind gleich. Belle beschränkt sich nicht nur auf das Thema Rassismus, sondern beweist einen weiteren Horizont, indem der Film Rassismus als eine mögliche Variante von Ausgrenzung zeigt, einer von mehreren, deren Ursprünge er in der Mischung von Engherzigkeit, Konventionszwang und Selbstgerechtigeit verortet.
Belles Geschichte wird auf packende Weise mit der Abschaffung der Sklaverei in England verknüpft.
Ein zusätzliches Plus sind die durchs Band hervorragenden schauspielerischen Leistungen - allen voran Tom Wilkinsons und Gugu Mbatha-Raws, aber auch die zahlreichen Nebendarsteller glänzen und machen Belle zu einem rundum erfreulichen Filmerlebnis.

Belle nimmt, wie natürlich auch die oben erwähnten Jane-Austen-Geschichten, Bezug auf und schöpft seinen Inhalt aus der sog. Regency-Zeit Grossbritanniens. Er entspringt der spezifisch Britischen Kultur, was für ein Britisches Publikum durchaus starke Relevanz hat, kulturell und entwicklungsgeschichtlich. Für uns Kontinentaleuropäer fehlt diese. Wir schauen einem berückend schönen Kostümdrama zu, dessen gesellschaftliche Komponente für uns allerdings leer bleibt. Immerhin gelangt mit dem erwähnten Gerichtsfall eine gesellschaftspolitische Komponente in den Film, die im weitesten Sinn universell ist und Asantes Film davor bewahrt, einfach ein weiteres schmuckes Kostümdrama zu sein.

Das Originalportrait von Dido Elizabeth Belle und ihrer Cousine Lady Elizabeth Murray, das die Inspiration zum Film lieferte.


Anschauen:
Der Film ist im deutschsprachigen Raum auf Blu-ray und DVD erhältlich. Als Download ist er u.a. bei Amazon, Maxdome, iTunes, youtube und Google Play erhältlich.

Meine Wertung: 8 / 10

Spielfilme auf Youtube: Heil dem siegreichen Helden (Hail the Conquering Hero, 1944)

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