Originaltitel: News of the World
Mit Tom Hanks, Helena Zengel, Mare Winningham, Elizabeth Marvel, Thomas Francis Murphy, Michael Angelo Covino u.a.
Drehbuch: Paul Greengrass und Luke Davies nach dem Roman von Paulette Jiles
Regie: Paul GreengrassVor der Sichtung:
Einer
der Filme, die wegen des Corona-Lockdowns nicht in die Kinos kamen, den
ich mir dort aber gern angesehen hätte. Seither ist er im
Netflix-Programm abrufbar. Er erzählt die Geschichte eines
einsamen Bürgerkriegs-Veteranen (Tom Hanks), der durch die Dörfer des amerikanischen Wilden Westens zieht,
um dort gegen Entgeld die Nachrichten aus den Zeitungen zu verlesen; als er ein von Indianern entführtes Mädchen (Helena Zengel)
aufliest, gerät seine Welt aus
den Fugen...
Klingt interessant, zudem hatte ich Lust, mir einerseits wieder einmal ein modernes Kinowerk, andererseits einen Western anzusehen. News of the World erfüllt beide Wünsche.
Inhalt:
Der bürgerkriegsversehrte Veteran Jefferson Kidd (Tom Hanks) zieht durch die Weiten des unerschlossenen Westens, um den Leuten die neusten Nachrichten aus der Welt vorzulesen. Kidd, einer von vielen, die nach dem Krieg ihre gesamte Lebensgrundlage verloren hatten, versucht sich mit dieser Tätigkeit über Wasser zu halten. Auf dem Weg ins nächste Kaff findet er in der Wildnis ein verwildertes blondes Mädchen, das indianische Kleidung trägt und die Sprache der Kiowa spricht. Kidd findet Unterlagen, die das Kind als Johanna Leonberger identifizieren, als Kind deutscher Einwanderer, das von Indianern entführt wurde. Kidd ahnt, dass das entwurzelte Mädchen Schreckliches erlebt haben muss. Und er, der selbst entwurzelt ist, weiss, dass er mit dem Auftrag, Johanna (Helena Zengel) zu ihren einzigen Verwandten zu bringen, das Kind zum zweiten Mal entwurzeln wird.
Nach der Sichtung:
News of the World scheint zu spalten. Die einen finden ihn grandios, die anderen miserabel. Ich gehöre zur ersten Gruppe, und ich stelle erstaunt fest, dass ich viele Argumente der Kritiker nicht im Geringsten nachvollziehen kann. Ja, der Film ist ein Western, bietet aber kaum Action - ihn deshalb langweilig zu nennen, zeugt von einer Aufmerksamkeitsspanne, die gerade mal bis zur nächsten leergefutterten Chips-Tüte reicht: Wenn man sich ständig ausklinkt, um Nachschub zu besorgen oder um die neusten Handy-News zu checken, ist es kein Wunder, dass man die zahlreichen Zwischentöne des Films verpasst.
Und ja, Tom Hanks spielt hier schon wieder den good guy. Na und?! Das ist doch kein ernstzunehmender Kritikpunkt - wird aber von mehreren professionellen Kritikern gegen News of the World ins Feld geführt! Was soll denn damit ausgedrückt werden? Dass man Tom Hanks nicht mag? Dass man lieber einen anderen Schauspieler in der Rolle gesehen hätte? Beides sind von persönlichen Vorlieben/Abneigungen geprägte Aussagen und haben in einer Kritik nichts zu suchen. Hanks spielt die Rolle hervorragend, er passt sich perfekt in die Handlung ein, die Figur ist stimmig... dass er schon oft den Guten gespielt hat, schmälert doch seine Leistung nicht! Ob der Kritiker ihn mag oder nicht, ist völlig irrelevant! In einem persönlich gestalteten Amateur-Blog mag diese Feststellung als "Kritik" vielleicht durchgehen (aber auch nur vielleicht...), dass sowas aber von professionellen Journalisten öffentlich für Kritik ausgegeben wird, fällt auf das Medium zurück, welches solche Kindereien nicht zurückweist. Aber heute dürfen ja auch filminteressierte Lokaljournalisten Filmkritik betreiben... Was wundere ich mich eigentlich?
Genug des Kritiker-Bashings - zurück zum Film.
News of the World strahlt trotz einiger aufwühlender Sequenzen eine Ruhe aus, welcher Grösse entwächst. Und dass diese Grösse - menschliche Grösse, die angesichts der landschaftlichen Grösse und Weite des Landes doch wieder ganz klein wird - dass diese Grösse spür- und erahnbar wird, das ist im Wesentlichen das Verdienst von "Schon-wieder-Good-Guy" Tom Hanks. So gut wie hier, so im Einklang mit dem Film und dessen Intention, habe ich ihn bislang noch nie gesehen. Er verleiht der Figur des Captain Kidd Tiefe, wo diese vom Drehbuch ausgespart wird. Er füllt mit seiner phänomenalen Schauspielerei und seiner Persönlichkeit die Lücken im Film - ob diese beabsichtigt waren oder nicht, kann ich nicht abschliessend beurteilen - und erhebt den inszenatorisch bereits hervorragenden Film auf die Stufe eines Meisterwerks. Die Verlorenheit und Verzweiflung seiner Figur spricht kaum einmal aus dem Dialog, auch nicht aus Kidds Handlungen - sie liegt im Blick des Schauspielers, in seinen Gesten und Reaktionen, in einer selten gesehenen Eindringlichkeit. Und das soll ihm mal einer nachmachen!
News of the World erzählt von zwei Verlorenen, Heimatlosen. Beide haben Traumatisches erlebt, Kidd im Krieg, wo er Dinge tun musste, die seine Seele tief geschunden haben, Johanna auf dem Schlachtfeld des Lebens, wo sie zwei Mal mitansehen musste, wie ihre Familien - die leibliche und die "adoptierte" - ermordert wurden. Der Film ist nicht nur Western, sondern auch Road Movie, denn Kidd und Johanna begeben sich zusammen auf die Reise, in deren Fortgang sie sich näher kommen. Und hier leistet auch der Regisseur Erstaunliches, denn es gelingt ihm, jede Klischee-Klippe geschickt zu umschiffen; er gestattet sich keine Gefühligkeiten (ausser am Schluss, aber da passt's), er überlässt die emotionale Ausgestaltung seinen beiden Hauptdarstellern, und auch sie handhaben diese auf äusserst minimalistische - und deshalb umso wirkungsvollere - Weise.
Paul Greengrass' Film prunkt nicht mit grossen Aussagen. Er will eine Geschichte erzählen und dieses Vorhaben löst er gekonnt ein. Und doch erhält News of the World eine allgemeine Gültigkeit - durch seine beiden Protagonisten. All das Neue aus der Welt, von dem Kidd seinem Publikum erzählt, all die Zeitungsartikel über reale Katastrophen, Unglücksfälle und Umstürze werden reduziert auf erzählbare Geschichten. Anhand der Figuren von Captain Kidd und Johanna, die, wie alle Menschen ihre eigenen Katastrophen, Unglücksfälle und Umstürze durchlitten haben, gelangt Greengrass' Film zum tröstlichen Kern hinter den Geschichten, der in allen gedruckten Berichten stets ausgespart bleibt, der aber genauso zum Menschsein gehört: Mitgefühl, Fürsorge und Liebe - sie sind genauso real wie all die Katastrophen.
Dass dies von der Kritik nicht erkannt wird... naja, aber lassen wir das.
PS: Au weia - jetzt habe ich kein Wort über die grossartige (weil deutsche) Kinderdarstellerin Helena Zengel (13) verloren. Ok, hier kommt's: Sie macht ihre Sache gut. Der Regisseur musste allerdings einige Sequenzen ihren begrenzten schauspielerischen Fähigkeiten anpassen - was leider zu kleineren Brüchen in der Figurenzeichnung führt.
News of the World kann als Neues aus der Welt bei Netflix online angesehen werden. Der Film ist zum Zeitpunkt der Niederschrift noch nicht auf Blu-ray oder DVD erschienen.