Dienstag, 16. Mai 2023

Harolds liebe Schwiegermama (Hot Water, 1924)


Originaltitel: Hot Water
Regie: Fred C. Newmeyer und Sam Taylor
Drehbuch: Sam Taylor, John Grey, Tim Whelan
und Thomas J. Gray
Mit Harold Lloyd, Jobyna Ralston, Josephine Crowell, Charles Stevenson, Mickey McBan, Edgar Dearing u.a.

In unzähligen Stummfilmen (und auch lange nach Beginn der Tonfilmzeit) drehte sich alles um die Liebe: Boy Meets Girl. So auch in den Komödien.
In Chaplins, Keatons, Lloyds und Langdons Werken war nie die Frage, ob der Held das Mädchen am Ende kriegt, dafür wurde das wie auf witzige Weise abgehandelt.
Irgendwann musste dieses Muster durchbrochen werden, und einer der ersten, die das "Leben nach dem Happy End" filmisch behandelten, war Charlie Chaplin mit den Kurzfilmen A Day's Pleasure (1919) und Pay Day (1921); letzterer ist eine deprimierende Studie häuslichen Horrors.


Im Jahre 1924 schlug auch Harold Lloyd diesen Pfad ein, mit seinem knapp einstündigen Langfilm Hot Water, der den Alltag nach dem Happy End als eine Abfolge heilloser Tiefschläge darstellt und dabei die Unbilden des ehelichen Alltags komödiantisch überhöht. Wie Chaplins Pay Day lebt Hot Water von einer Fülle origineller Einfälle; mehr noch als Chaplin versteht es Lloyd - der übrigens damals genauso erfolgreich und beliebt war wie dieser - die einzelnen Pointen elegant und mit zusätzlichem Witz vorzubereiten. 

Lloyds "Familienfilm" beginnt mit einer kurzen Boy Meets Girl-Einleitung samt bekannter Happy-End-Einstellung, um sich nach dem Ausblenden gleich dem Leben danach zu widmen. Der "Boy" ist jetzt der Hubby (Lloyd), das "Girl" das Wifey (Jobyna Ralston), er kauft ein, sie kocht, und inzwischen rückt ihre Mutter (Josephine Crowell) samt grossem und kleinem Bruder an und sorgt für Unheil.

Harolds Einkaufstour endet im Desaster

Was schief gehen kann, geht nun schief, das Einkaufen, das gemeinsame Essen, die Fahrt mit dem neuen Auto, und schliesslich führt Harolds Versuch, sich gegen die übergriffige Verwandtschaft durchzusetzen durch eine Verkettung haarsträubender Vor- und Zwischenfälle in den schieren Wahnsinn. 

In der Nacherzählung klänge das im Detail deprimierend, deshalb spare ich mir das; es würde ein falscher Eindruck entstehen. Lloyd schafft das Kunststück, die ganzen Katastrophen auf erheiternde und charmante Weise, mit überraschenden Wendungen und temporeichen Sequenzen ans Publikum zu bringen, und das abschliessende Happy End sorgt dafür, dass Hot Water heute nicht zu den Katastrophenfilmen zählt, sondern als einer der Höhepunkte der Stummfilmkomödie gefeiert wird.

Harolds Spritztour endet ebenfalls im Desaster

Wenn man nur einen einzigen Film mit einer nervigen Schwiegermutter im Zentrum anschauen möchte, sollte man diesen wählen. Er behandelt das abgestandene Sujet und die damit verbundenen Gemeinplätze auf erfrischend lustige Weise.

Zeitungsannonce von 1924

Da der Film im deutschsprachigen Raum online nirgends verfügbar ist, hier der Link auf den Streifen mit Zwischentiteln in der englischen Originalversion.

Dienstag, 9. Mai 2023

Flucht oder Sieg (Victory, 1981)



Regie: John Huston

Drehbuch: Evan Jones und Yabo Yablonsky
Mit Sylvester Stallone, Michael Caine, Max von Sydow, Pelé, Daniel Massey, Carole Laure u.a.



V.l.n.r.: Regisseur Huston, Sylvester Stallone, Michael Caine

Ein Film der in prominenten Rollen mit Sylvester Stallone, Michael Caine und Star-Fussballer Pelé besetzt ist, der sich um Nazi-Fussball dreht und in dem Altmeister John Huston (Asphalt-Dschungel) Regie führt... Was soll man bloss davon halten?

Als Victory anfangs der Achtzigerjahre in die Kinos kam, wurde er von den Kritikern mit Häme und Spott übergossen und fast einhellig verrissen.
Grund genug, sich den Streifen nach 42 Jahren nochmals vorzunehmen.

Victory beginnt in einem Kriegsgefangenenlager der Nazis. Michael Caine spielt John Colby, einen ehemaligen englischen Fussballer, der im Camp zum Zeitvertrieb Spiele organisiert. Stallone tritt als Gefangener Hatch auf, ein Amerikaner, der sich im Camp auf gut geplante Ausbrüche verlegt hat.
Pelé ist auch irgendwie dabei. Er ist dafür verantwortlich, dass die Fussballfans ins Kino gehen.

Die Konstellation funktioniert nicht besonders gut. Stallone und Caine kommen aus zwei völlig unterschiedlichen schauspielerischen Schulen, Pelé kommt aus gar keiner. Gut, letzterer bekommt nicht soviel Leinwandzeit wie die anderen beiden, doch das Grundproblem tritt hier bereits zutage: Es kommt vieles nicht zusammen in diesem Film.


Es gibt weitere Fussballstars ohne schauspielerische Erfahrung, die in Nebenrollen auftreten: Bobby Moore, Osvaldo Ardiles, Mike Summerbee, Co Prins,
Kazimierz Deyna, Hallvar Thoresen und andere.
Die Strategie hinter dieser Besetzung ist klar: Man wollte auch die Fussballfans anlocken. Unter diesen ist der Film übrigens nach wie vor sehr beliebt.

Die Fussballspiele der Gefangenen werden von Major Karl von Steiner (Max von Sydow) beobachtet, der früher selbst Fussballer war. Schliesslich tritt er mit einer Idee an Colby heran: Wie wäre es, wenn dieser aus sämtlichen in deutschen Lagern inhaftierten Profifussballern eine "Alliierten-Mannschaft" zusammenstellte und diese dann gegen eine deutsche Mannschaft antreten würde? 


Colby willigt ein; doch leider finden auch von Steiners Nazi-Vorgesetzte den Plan gut und wollen ihn für Propagandazwecke missbrauchen: Das Spiel soll an die grösstmögliche Glocke gehängt werden, um der Welt die Überlegenheit der Deutschen zu demonstrieren. Paris wird als Austragungsort festgelegt.

Das britische Kommando im Camp hat ebenfalls seine Pläne: Das Spiel soll dazu benutzt werden, die Nazis vor aller Welt blosszustellen; zu diesem Zweck soll Hatch einen Plan ausarbeiten, der die Flucht der alliierten Mannschaft während der Spielpause vorsieht - vor der Nase der Deutschen sozusagen.

Parallel zum Fussballtrainig im Camp werden Hatchs Flucht-Vorbereitungen geschnitten, für die er aus dem Camp ausbrechen und nach Paris reisen muss, wo er mit örtlichen Résistance-Mitgliedern zusammentrifft. 

Ab hier gerät Victory aus dem Tritt, weil er sich nicht entscheiden kann, wo der Fokus liegen soll - bei der Flucht oder beim Fussball. Bis zum Spiel in Paris - und auch während diesem - werden die aufwändigen Flucht-Vorbereitungen immer wieder parallel geschnitten und bekommen so grosses Gewicht.



Und da macht der Film dann einen m.E. entscheidenden Fehler. (Achtung, jetzt kommt ein  Spoiler!) Als Colby die Mannschaft in der Halbzeit in den Fluchttunnel unter dem Stadion führt, überreden ihn seine Mannen, das Spiel zu Ende zu führen.
Wozu, so fragte ich mich, wurde derart viel Filmmaterial und Dramturgie auf die Flucht verwendet, wenn sie am Schluss doch nicht stattfindet? Ich kam mir getäuscht vor, das war ein Plot-Twist der negativen Art, denn man erwartet eine spannende Ausbruchssequenz und kriegt statt dessen ein vorhersehbares Ende - den bereits im (grauslichen) US-Filmposter vorweggenommenen Fussball-Sieg der Alliierten

(Spoiler Ende).

Max von Sydow und Arthur Brauss spielen Nazis
 
Das Drehbuch, so muss man feststellen, ist nicht besonders ausgefeilt. Trotzdem ist die Handlung so konzipiert, dass Victory von Anfang bis Ende spannend und interessant bleibt. John Hustons Regie ist solide, und die Beratung der beteiligten Fussballprofis sorgt dafür, dass die Fussballsequenzen zum Ereignis werden. Pelé war für die Choreografie des abschliessenden grossen Matchs verantwortlich und man merkt fast nicht, wie schwierig es ist, ein Fussballspiel überzeugend auf die Leinwand zu bringen.
So ist Victory ein Film geworden, der zwar viele Schwächen aufweist, der aber trotzdem gut unterhält - auch Nicht-Fussballfans.

 
Man kann den Film online ansehen - hier eine List der Anbieter.

 

Samstag, 6. Mai 2023

Something in the Wind (1947)


Regie: Irvin Pichel
Drehbuch: Harry Kurnitz und William Bowers
Mit Deanna Durbin, John Dall, Donald O'Connor, Margaret Wycherly, Jean Adair, Charles Winninger, Helena Carter, Jan Peerce u.a.


Heute kommt hier ein weiterer Film ohne deutschen Verleihtitel zur Sprache - Something in the Wind kam nie in die deutschen Kinos und offenbar lief er auch nie im Fernsehen. Dessen Star, die singende Schauspielerin Deanna Durbin, hatte im deutschsprachigen Raum nie den Stellenwert, den sie im Rest der Welt genoss, wo sie jedes Kind kannte. Winston Churchill war ein bekennder Fan, ebenso Anne Frank und - der russische Cellist Mstislav Rostropowitsch.

Deanna Durbin in "Something in the Wind"

Durbin drehte zwischen 1936 und 1948 rund 20 muntere Musicalfilme, danach zog sie sich überraschend und vollständig aus dem Showbusiness zurück (was damals gar nicht so ungewöhnlich war). Der Zeitpunkt ihres Rückzuges erklärt vielleicht den blinden Durbin-Fleck Deutschlands: Kurz nachdem Hollywood dort wieder Fuss zu fassen begann, war sie von der Bildfläche verschwunden.

Schaut man sich Something in the Wind - ihren drittletzten Film - heute an, sieht man eine charismatische, talentierte junge Schauspielerin/Komödiantin/Sängerin (sie war damals 26 Jahre alt), welche einen Film mühelos trägt. Durbin überzeugt mit einer bodenständig-ironischen Art, welche ihr Sweetheart-Image auf überraschende Weise konterkariert; überraschend jedenfalls für mich, war dies doch meine erste Begegnung mit dem damaligen Star.

Donald O'Connor, Deanna Durbin & John Dall

Offenbar habe ich für den Erstkontakt eines ihrer schwächeren Werke erwischt, wie ich im Nachhinein einigen Kritiker- und Fan-Aussagen entnehmen konnte.
Something in the Wind glänzt nicht mit Originalität, die Geschichte entwickelt sich etwas umständlich und die Funktion und Besetzung einiger Nebenfiguren erschliesst sich dem Zuschauer nicht immer auf befriedigende Weise.

Doch zuerst zur Handlung: Der weibliche Disc-Jockey Mary Collins (Durbin) erhält eines Tages überraschenden Besuch des snobistischen Upper-Class-Grünschnabels Donald Read (John Dall). Dieser unterstellt ihr, eine Affäre mit seinem Grossvater gehabt zu haben, welcher ihr regelmässig Geldbeträge überwiesen haben soll. Nach dem Tod des Patriarchen sollen diese Zahlungen weitergeführt werden, was die Hinterbliebenen um jeden Preis verhindern möchten.
Mary, die keine Ahnung hat, wovon die Rede ist, stellt den jungen Snob in den Senkel und rauscht heim zu ihrer Tante, die übrigens auch Mary heisst...

Donalds jüngerer Cousin Charles (Donald O'Connor), der in Donalds Verlobte Clarissa (Helena Carter) verliebt ist, plant einen Plot, ihm diese mit Hilfe Marys auszuspannen. Dazu müsste Donald sich in Mary verlieben, was zu deren Entführung und weiteren Komplikationen führt.

John Dall wird in die (Liebes-)Zange genommen...
 
Was dabei schliesslich herauskommt, ist ziemlich schräg: Sweetheart Deanna Durbin verschmachtet in den Armen des späteren Hitchcock-Mörders John Dall (einer der Studenten aus Rope). Dall war bei Hitchcock perfekt besetzt, hier passt er mit seiner steifen, leicht säuerlichen Art zunächst gut, wenn er den reichen Geck gibt; doch als sein Charakter vom komischen Schnösel zum schmachtenden Lover mutiert, wird der Film unglaubwürdig und Dall fällt aus der Rolle. Durbin und Dall sind wahrschenlich das unpassendste Leinwandpaar aus dem alten Hollywood, das ich je gesehen habe.

Der vielgerühmte Tänzer/Komödiant Donald O'Connor (Singin' in the Rain, 1952) fällt mir einmal mehr mit seinen Routinegrimassen und -verrenkungen auf die Nerven, hinter denen der Mensch nicht sichtbar wird und dessen "Spässe" die Handlung nur aufhalten. Dasselbe gilt übrigens für sämtliche Gesangs- und Tanzeinlagen, die glücklicherweise meist recht kurz gehalten sind.

Donald O'Connor treibt "Spässe"
 
Es gibt in dem Film zwei herausragende Sequenzen. Die erste kommt kurz nach Filmbeginn, wenn Mary ihrer Tante erzählt, dass einer des Read-Clans ihr ein Affäre mit dem Familienpatriarchen vorgeworfen habe. Die Reaktion von Tante Mary (Jean Adair) ist in ihrem Understatement unbezahlbar; köstlich, wie da die wahre Geschichte
ohne Worte ans Licht kommt.

Die zweite grandiose Passage ist eine Gesangsnummer. Mary sitzt dank eines Winkelzuges des intriganten Onkels Chester Read (Charles Winninger) im Knast. Sie versucht, den Gefängniswärter so abzulenken, dass sie ihm die Zellenschlüssel vom Hosenbund klauen kann. Weil dieser sich
auf einen Gesangsauftritt beim abendlichen Polizeiball vorbereiten will, verwickelt sie ihn in ein Duett (das "Miserere" aus Verdis Oper Il trovatore). Völlig überraschend stellt der Polizist die Sängerin mit seiner Stimme weit in den Schatten - es handelt sich um den Opernsänger Jan Peerce in einem Cameoauftritt. Und auch hier ist es wieder das komische Understatement, das die Sequenz zum Leuchten bringt.
Daneben wirkt Donald O'Connors exaltiertes Gehampel völlig unpassend und wird leicht unangenehm als das erkennbar, was es ist: Als Konzession an den Massengeschmack.

Fazit: Something in the Wind ist wohl tatsächlich nicht Deanna Durbins bester Film. Doch ihre charismatische Ausstrahlung trägt ihn über seine zahlreichen Schwachstellen hinweg - ein Grund, mir weitere Durbin-Streifen vorzunehmen. Zwei wirklich gelungene Sequenzen und einige Nebendarstellerinnen und -Darsteller (Jean Adair, Margaret Wycherly und  Charles Winninger) machen den Film trotz seiner Schwächen zu einem ganz unterhaltsamen und streckenweise amüsanten Erlebnis.



Im deutschsprachigen Raum war Something in the Wind leider nie zu sehen. Deshalb hier der Link (englische Originalversion).


Spielfilme auf Youtube: Heil dem siegreichen Helden (Hail the Conquering Hero, 1944)

Heute: Heil dem siegreichen Helden (1944) Zu sehen in HD und in voller Länge mit deutschen Untertiteln auf youtube (Link s. unten). USA 19...