Samstag, 16. Mai 2020

Botschafter der Angst (The Manchurian Candidate, 1962)



Ein bekannter Klassiker


The Manchurian Candidate (dt.: Botschafter der Angst, USA 1962)
Mit Laurence Harvey, Frank Sinatra, Angela Lansbury, James Gregory, Leslie Parrish, John McGiver u.a.
Drehbuch: George Axelrod
Regie: John Frankenheimer

Studio: United Artists
Genres: Drama, Thriller
Kino/TV-Auswertung im deutschsprachigen Raum: Kinopremiere im März 1963
Dauer: 126 min
Farbe: s/w


The Manchurian Candidate ist seit diesem Monat bei uns in einer (diesmal ) ungekürzten DVD-Neuausgabe und auf einer Blu-ray wieder im Hadel erhältlich.
  
Es gibt einige wenige Filme, die man nicht unvorbereitet schauen sollte.
The Manchurian Candiate
ist einer davon.
Er gilt als grosserer US-Klassiker der Nach-McCarthy-Aera. Auf den arglosen Betrachter wirkt er konfus, einige Sequenzen erscheinen geradezu bescheuert.


Krude Mischung
Mitten auf dem koreanischen Schlachtfeld wird ein Trupp US-Soldaten per Helikopter von den Russen entführt, um an ihnen eine Gehirnwäsche durchzuführen und einen von ihnen zur Tötungsmaschine umzufunktionieren. Major Shaw (Laurence Harvey), ein ansonsten friedfertiger Mensch, kann fortan mittels eines Solitär-Kartenspiels von den bösen Russen zum Killer aktiviert werden.
Als mehrere von Shaws alten Kameraden Nacht für Nacht von genau demselben Alptraum geplagt werden, schöpft einer von ihnen (Frank Sinatra) Verdacht und schafft es mit viel Hartnäckigkeit tatsächlich, das böse Spiel der bösen Russen aufzudecken. Es steht nicht weniger auf dem Spiel als die Rettung der Unabhängigkeit Amerikas.


Ich schaute mir den Streifen ohne Vorwissen und ohne vorbereitende Lektüre an, wie ich es oft tue, um unbeeinflusst von bereits gefällten Urteilen anderer an ein Kinowerk heranzugehen. Diese Vorgehensweise erwies sich in diesem Fall als kontraproduktiv.
Einerseits war ich zwar gepackt und fasziniert von der Machart des Films; andererseits konnte ich mich während der Visionierung der ständig bohrenden Frage nicht erwehren, ob der Drehbuchautor während des Schreibprozesses vielleicht nicht ganz zurechnungsfähig gewesen war.

Nach der Sichtung verstand ich die (Film-)Welt nicht mehr. Den jahrzehntelangen Hype um den Streifen schon gar nicht.
The Manchurian Candidate
, diese krude Mischung aus Kalter-Krieg-Paranoia, Polit-Thriller, Film-Noir und billigem Groschenroman soll zu den besten Politfilmen der Sechzigerjahre gehören? Eine solch grotesk schlechte Story ist die Basis eines gefeierten Klassikers? Wie ist es möglich, dass Inszenierung (brilliant) und Drehbuch (trashig) derart auseinanderklaffen?

Und endlich: Der Schlüssel
Da dieses Konglomerat sich mir auch nach langem Drehen und Wenden nicht erschliessen wollte, suchte ich nach Erklärungen. Sie waren nicht einfach zu finden, die Suche hatte zunächst nur neue Rätsel und Irritationen zur Folge, denn die Rätselhaftigkeit des Film lässt die Interpretationsfreudigkeit der Filmexperten wild wuchern.
Die meisten Filmhistoriker und Kritiker jubeln, dass The Manchurian Candidate den damaligen Zeitgeist Amerikas genau abbilde - demnach muss es damals wirklich schlimm gestanden haben um die geistige Verfassung des Landes! Ich habe Filmwissenschaftler gelesen, die jeder noch so bescheuerten Wendung des Film Bedeutung zuordneten - und damit fast noch bescheuerter 'rüberkamen, als der Film selbst.
Konsens herrscht darüber, dass The Manchurian Candidate als Satire zu verstehen sei. Nach meinem Verständnis gehört zu einer Satire Humor. Der Film besitzt nicht nicht ein Fünkchen davon!


Schliesslich fand ich eine einleuchtende und brauchbare Erklärung, sie stellte sich als der Schlüssel heraus, den man braucht, um The Manchurian Candiate schätzen zu können. Ohne ihn muss man entweder blind an den Status des Films glauben oder die Filmhistoriker für verrückt erklären. Von selbst drauf zu kommen, ist ohne profunde Vorbildung in amerikanischer Geschichte ist praktisch unmöglich. Ein Text von Jonathan Rosenbaum hat mir geholfen, den Film als das zu würdigen, was er ist: Die Visualisierung des Weltbildes eines Kommunistenjägers.

Sehr amerikanisch
Zunächst: Was macht The Manchurian Candidate für uns so schwer verständlich?
Frankenheimers Film ist durch und durch amerikanisch; er spiegelt den amerikanischen Zeitgeist und die amerikanische Politik der Sechzigerjahre. Er erschwert einem europäischen Publikum den Zugang dadurch, dass er wenig erklärt und viel Hintergrundwissen voraussetzt - was die damaligen US-Kinogänger möglicherweise mitbrachten.
Ich vermute, The Manchurian Candidate war schon damals für europäische Zuschauer nich leicht zugänglich. Aus zeitlicher Distanz ist er für uns nur noch mit einer Anleitung vollumfänglich goutierbar. 


Rosenbaums Schlüssel ist folgender: Man sollte The Manchurian Candidate als Innenansicht des Gehirns eines der damaligen Verschwörungstheoretiker um Senator McCathy sehen. Oder anders: So würde ein Film aussehen, wäre er von einem unterbelichteten McCarthy-Anhänger geschrieben und gedreht worden. Betrachtet man den Film unter dieser Prämisse, ergibt plötzlich alles einen Sinn, von der dämlichen Story über die lächerlichen Dialoge bis zu den drehbuchtechnischen Monstrositäten.

Das Erstaunliche am Film ist, dass er dank John Frankenheimers Regie trotz allem Befremden, das er ohne Vorwissen auslöst, packt: Die Regie ist derart furios gut und gewagt, dass die Verwunderung über den Inhalt einem das Zuschauen nie richtig vergällt. Die Traumsequenz etwa ist derart irre in Szene gesetzt, dass man fasziniert zuschaut. Solch erstaunliche, inszenatorisch teils stark überzeichneten Momente gibt es immer wieder, man ist fasziniert von der nicht nur für die damalige Zeit unerhörte Art, wie da einer Regie führt. 

The Manchurian Candidate wurde von Frank Sinatra in den frühen Siebzigerjahren aus dem Verkehr gezogen; Sinatra erwarb die Rechte am Film und nahm ihn aus dem Verleih. Spekulationen über seine Gründe gibt es etwa so viele wie es Interpretationen des Films gibt. Fakt ist, dass Sinatra mit John F. Kennedy befreundet war, dieser ein Jahr nach der Filmpremiere erschossen wurde und der Film eine Sequenz enthält, die den Kennedy-Mord vorweg zu nehmen scheint.
Aber dies ist ein Rätsel, das wohl nie ganz gelöst werden wird.


Abschliessend möchte ich bemerken, dass The Manchurian Candidate zwar ein äusserst anregender, handwerklich gewagter Film ist, mit dem ich aber auch nach intensiver Beschäftigung nicht warm werde. Er ist interessant, aber eiskalt, seine handwerkliche Brillianz verblüfft, doch seine zeitliche Distanz macht sich deutlich bemerkbar. Zu behaupten, er sei heute noch oder wieder so aktuell wie damals, scheint mir doch sehr gewagt. Nur weil ein republikanischer Dummschwätzer drin vorkommt, ist er noch nicht "brandaktuell"! Die politischen Gegebenheiten und Begleitumstände haben sich seit damals doch dramatisch verändert; sinnvolle Parallelen lassen sich da kaum ziehen - höchstens gewollte.

Listen, Listen...
Ich weiss nicht, ob es nur mir so geht, aber nach der Sichtung dieses Films wurde mir klar, dass Janet Leigh ein blinder Fleck in meiner Filmschauspielerinnen-Liste ist. Hat die Frau eigentlich neben Psycho und The Manchurian Candidate noch in anderen signifikanten Filmen mitgewirkt?
Ihre bekannteste Rolle ist die des Dusche-Opfers in Hitchcocks Psycho - dort verschwindet sie allerdings nach 30 Minuten schon wieder aus dem Film; im Manchurian Candiate hat sie eine völlig bedeutungslose Rolle, die man genau so gut hätte weglassen können.
Dass sie von von 1947 bis zu ihrem Tod 2004 regelmässig in Filmen zu sehen war, entging mir völlig. Ebenso, dass sie auch schriftstellerisch tätig war und eine Tochter namens Jamie Lee Curtis hatte!
Hier ein paar durchaus bekannte Filme mit Janet Leigh:
The Naked Spur (dt.: Nackte Gewalt; Anthony Mann 1953)
Touch of Evil (dt.: Im Zeichen des Bösen; Orson Welles 1958)
Harper (dt.: Ein Fall für Harper, Jack Smight 1966)
The Fog (dt.: The Fog - Nebel des Grauens; John Carpenter 1980)


Weitere Filme von John Frankenheimer:
The Young Savages (dt.: Die jungen Wilden, 1961)
Birdman of Alcatraz (dt: Der Gefangene von Alcatraz, 1962)
Seven Days in May (dt.: Sieben Tage im Mai, 1964)
The Train (dt.: Der Zug, 1964)
Seconds (dt.: Der Mann, der zweimal lebte, 1966)
French Connection II (1975)
Black Sunday (dt.: Schwarzer Sonntag, 1977)

Weitere bekannte Filme von 1962:
To Kill A Mockingbird (dt.: Wer die Nachtigall stört; Robert Mulligan)

Lawrence of Arabia (dt.: Lawrence von Arabien; David Lean)
The Man who shot Liberty Valance (dt.: Der Mann, der Liberty Valance erschoss; John Ford)
Dr. No (dt.: James Bond jagt Dr. No; Terence Young)
What Ever Happened to Baby Jane? (dt.: Was geschah wirklich mit Baby Jane?; Robert Aldrich)
Jules et Jim (dt.: Jules und Jim; François Truffaut)
Vivre sa vie (dt.: Die Geschichte der Nana S.; Jean-Luc Godard)


Michael Scheck



1 Kommentar:

  1. Da gab es doch vor einigen Jahren eine Neuverfilmung. Zumindest einen Film mit gleichem Titel. Ich kenne leider weder das Original, noch das Remake. Eine der filmklassischen Lücken, die irgendwann noch aufgearbeitet werden müssen...

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