Freitag, 8. Mai 2020

Night Court - Machtmissbrauch im Richteramt


Ein vergessener Film

Night Court (USA 1932)
Mit Phillips Holmes, Anita Page, Walter Huston, Lewis Stone, Jean Hersholt, Noel Francis u.a.
Drehbuch: Bayard Veiller und Lenore J. Coffee nach einem Theaterstück von Mark Hellinger und Charles Beahan
Regie: W.S. Van Dyke
Studio: MGM
Genres: Drama, Crime
Kino/TV-Auswertung im deutschsprachigen Raum: keine
Dauer: 92 min
Farbe: s/w


Night Court ist bei uns nicht auf Blu-ray/DVD/VHS erschienen.
In den USA ist er auf einer DVD-R (manufactured on demand) der Warner Archive Collection in guter Bild- und sehr guter Tonqualität greifbar (s.unten).


Night Court ist ein Film aus der sogenannten Pre-Code-Zeit Hollywoods (der Hays-Produktions-Code war eine ab 1934 gültige Zusammenstellung von strengen Richtlinien zur Herstellung von US-Spielfilmen, mittels welcher "moralisch akzeptable " Darstellungen besonders von Kriminalität, sexuellen und politischen Inhalten erzwungen wurden).
Im Mittelpunkt dieses Filmes steht der korrupte Richter Moffett (Walter Huston), ein übler Charakter, der mit Hilfe zwieliechtiger Figuren krumme Dinge dreht und das Recht, dem er zu dienen verpflichtet wäre, zu seinem Vorteil umbiegt.
Um sich aus einer Geldaffäre zu ziehen, lässt er eine vermeintliche Zeugin seiner Machenschaften, die unbescholtene Hausfrau Mary Thomas (Anita Page) ins Gefängnis werfen, womit er ihre Familie zu zerstören droht. Marys Ehemann, der rechtschaffene Taxifahrer Michael (Phillips Holmes) durchschaut den Richter aber und setzt alles dran, seine Frau zu befreien. Dafür muss er sich allerdings mit Moffett und dessen übler Entourage anlegen...


Glänzende Einführung
Die Exposition des Films funktioniert hervorragend - etwa vierzig Minuten lang vermögen die Filmemacher die Spannung konstant zu steigern. Zunächst blicken wir Richter Moffett bei der Arbeit über die Schulter- in seinem "Night Court" und im Büro. Sein verderbter Charakter offenbart sich rasch. Drauf lernen wir Moffetts Gegenspieler, den rechtschaffenen Richter William Osgood (Lewis Stone) kennen. Dieser untersucht die Machenschaften des Kollegen und ist drauf und dran, ihn zu entlarven. Dann werden der Taxifahrer Mike Thomas und dessen herzige Familie eingeführt.
Es folgt ein Hin und Her von Schnittfolgen zwischen der Halbwelt des Richters und der heilen Welt der Familie Thomas, das nur schon aus der Differenz zwischen den beiden Millieus Spannung entstehen lässt. Beide Geschichten bewegen sich unaufhaltsam und in zunehmendem Tempo aufeinander zu, bis es zum grossen Knall kommt: Die redliche Gattin des Taxifahrers wird durch eine Falle Moffetts vor der gesamten Nachbarschaft  als Prostituierte "entlarvt", verhaftet - und vor Moffetts Gericht gestellt.


Relikt aus der Anfangszeit des Tonfilms
Als Gatte Mike nach Hause kommt, ist das Baby allein. Zunächst glaubt er die böse Geschichte, welche ihm von der zusammengelaufenen Nachbarn-Schar erzählt wird - so schlau wurde sie vom Richter eingefädelt! Doch nach und nach realisiert Mike, dass sie nicht stimmen kann.

Ab diesem Moment verliert der Film zwischenzeitlich seine Spannkraft. Die Strecke, in der Mike zwischen Unglauben, Fassungslosigkeit und Wut pendelt, ist schauspielerisch unglaublich anspruchsvoll, zumal sein Gefühlschaos von den Autoren in einen betrunkenen Monolog gefasst wurde. Phillips Holmes fehlt dazu das schauspielerische Format; zu sehr ist sein Spiel noch der Pantomime des Stummfilms verpflichtet, und obwohl ihm der Regisseur die schwierige Szene mittels eines Spiegels zu erleichtern versucht, hofft man, dass die viel zu ausgedehnte Szene bald enden möge. Aehnlich geartete unnötig dialoglastigen Sequenzen erscheinen auch später immer wieder, doch diese ist die längste. 

Hier erlebt man ein Relikt aus der Anfangszeit des Tonfilms (die ja erst drei Jahre zurücklag); dort wurde aus lauter Freude über die technische Neuigkeit geredet, was das Zeug hielt; die Hauptsache war plötzlich das gesprochene Wort, alle anderen filmischen Mittel traten in den Hintergrund. Bezeichnenderweise wurden die Tonfilme damals "Talkies" genannt. In Night Court tritt dieses Phänomen nicht mehr abendfüllend zutage, doch in der oben beschriebenen Sequenz wird dem neuartigen Film-Ton noch deutlich gehuldigt.

Danach nimmt Night Court wieder an Fahrt auf, die Intensität des Anfangs erreicht er freilich erst wieder gegen Ende, als Thomas dem verhassten Richter endlich gegenübersteht. Im Showdown vor Gericht laufen Holmes und Huston zu schauspielerischer Höchstform auf.
Interessant ist die abschliessende Gerichtsverhandlung gegen Moffett. Ein Grüppchen um den Richter Osgood (Lewis Stone) versuchte
schon den ganzen Film über, Moffetts Machenschaften aufzudecken. Als sie seiner am Ende endlich habhaft werden, benutzen sie ähnlich unlautere Methoden wie der korrupte Moffett selbst - so entsteht ein überaus düsteres Bild der amerikanischen Gerichtsbarkeit.

Die Wirkung des Films
Richter Moffett und seine Machenschaften waren keine Erfindung. Mark Hellinger, auf dessen Stück Night Court beruht, ein angesehener Reporter und Zeitungskolumnist mit Verbindungen zu New Yorks Halb- und Unterwelt, beschrieb in seinen Kolumnen des öfteren New Yorks Schattenseiten, zu denen korrupte Richter und der Missbrauch des Rechtssystems gehörten; zu jener Zeit waren dies heisse Themen und Night Court war damit am Puls der Zeit.
Hellingers Hang zur Realitätsnähe führte ihn zu Beiträgen für weitere Filme - neben Night Court steuerte Hellinger u.a. auch die Story zum Gangsterfilm-Klassiker The Roaring Twenties bei. Schliesslich wurde er als Drehbuchautor engagiert und arbeitete später als Filmproduzent in Hollywood. Die bekanntesten von ihm produzierten Filme sind High Sierra (dt.: Entscheidung in der Sierra, Raoul Walsh 1941), The Killers (dt.: Die Killer, Robert Siodmak 1946) mit Burt Lancaster und The Naked City (dt.: Stadt ohne Maske, Jules Dassin 1949).


Die Rezeption von Night Court war damals trotz besagter Realitätsnähe nicht enthusiastisch. Die New York Times fand den Film und die Charaktere langweilig und unglaubwürdig, während Variety das Potential des Stoffs anerkannte, aber ebenfalls bemängelte, dass die Spannung unter zu länglich ausgewalzten Sequenzen immer wieder leide - eine Aussage, die ich für die zweite Filmhälfte unterschreibe.
Aus heutiger Sicht kann festgestellt werden, dass Night Court kaum an Aktualität verloren hat. Natürlich ist die Art, wie damals inszeniert und agiert wurde, überholt, doch die Thematik hat nichts von ihrer Brisanz verloren. Der Film zeigt auf, dass die Verkörperung des Rechts leicht zum Missbrauch der damit verliehenen Macht zwecks persönlichem Vorteil verleitet. Dass am Ende sogar die als moralisch erscheinende Instanz das Recht zu ihrem Zweck verdreht, ist ein Kommentar, der jede idealistische Illusion zunichte macht. Die Grenze zwischen Gut und Böse verschwimmt ausgerechnet auf der Ebene der Justiz, auf der sich notabene im späteren US-Kino sehr häufig strahlende Märtyrerfiguren finden lassen.


Stars von damals - heute vergessen
An oberster Stelle in den Credits wird der Schauspieler Phillips Holmes genannt, ein damals aufstrebender Star, den heute nicht mal mehr hartgesottene Kinofans kennen. Bis etwa 1933, als er bei einem selbst verschuldeten Autounfall eine Schauspielerkollegin schwer verletzte, ging es mit Holmes' Karriere steil bergauf. Der jugendliche Akteur konnte sich einen Namen als Charakterdarsteller machen, indem er seine Wandelbarkeit in ganz unterschiedlichen Rollen unter Beweis stellte.
Nach besagtem Unfall bekam seine Karriere einen Knick, seine Filmauftritte wurden immer seltener, und 1938 beendete Holmes seine Filmlaufbahn gänzlich, um sich ausschliesslich dem Theater zu widmen.
Ein Jahr später kam er im Krieg in einer Flugzeugkollision ums Leben. Er wurde 35 Jahre alt.
Filme, mit denen Phillips Holmes seine Karriere festigte:
-The Devil's Holiday, Rolle: Ein Trickbetrüger (Regie: Edmund Goulding, 1930)
-The Criminal Code, Rolle: Ein labiler Strafgefangener, ebenfalls an der Seite von Walter Huston (Regie: Howard Hawks, 1930)
-An American Tragedy, Rolle: Ein amoralischer Aufsteiger (dt.: Eine amerikanische Tragödie, Regie: Josef von Sternberg, 1931)


Anita Page hingegen, heute fast ebenso unbekannt wie Holmes, starb erst im hohen Alter von 98 Jahren. In ihrem letzten Film spielte sie - mit 98 - Dr. Frankensteins Mutter.
In den frühen Dreissigerjahren hatte sie Starstatus und erhielt fast soviel Fanpost wie die Garbo. Diktator Mussolini soll sie mit Briefen bombardiert und gar per Post um ihre Hand angehalten haben...
Und dann, 1933 aus heiterem Himmel und zur grossen Bestürzung halb Hollywoods, zog sie sich mit 23 Jahren aus dem Filmgeschäft zurück. Sie verschwand augenblicklich und fast vollständig von der Leinwand (sieht man von einer einzigen Filmrolle im Jahr 1936 ab). In einem späteren Interview gab sie zu Protokoll, dass sie vom einflussreichen MGM-Produzenten Irvin Thalberg von der Leinwand verbannt worden sei, weil sie ihm sexuelle Gefälligkeiten ausschlug - eine Darstellung, die allerdings verschiedentlich angezweifelt wird (Thalberg befand sich zur fraglichen Zeit zu einer mehrmonatigen Kur ausser Landes). Jedenfalls kehrte Page nach fast 60 Jahren auf die Leinwand zurück - für ein paar billige Horrorfilme!
Filme, mit denen Anita Page damals berühmt wurde:
-Our Dancing Daughters (dt.: Verkaufte Töchter, Harry Beaumont, 1928)
-The Broadway Melody (Harry Beaumont, 1929), eines der ersten Tonfilm-Musicals, beinhaltete eine Technicolor-Sequenz


Und weitere Listen...
Andere, bekannte Filme von Regisseur W.S. Van Dyke:

-White Shadows in the South Seas (dt.: Weisse Schatten, 1928)
-Tarzan, the Ape Man (dt: Tarzan, der Affenmensch, 1932)
-The Thin Man (dt.: Mordsache dünner Man, 1934)
-After the Thin Man (dt.: Dünner Mann, Fall 2, 1936)


Bekannte Filme des Jahres 1932 :
-Freaks (Tod Browning)
-Vampyr (Carl Thodor Dreyer)
-Grand Hotel (dt.: Menschen im Hotel; Edmond Goulding)
-The Most Dangerous Game (dt.: Graf Zaroff - Genie des Bösen; Irving Pichel & Ernest B. Schoedsack)
-The Mummy (dt.: Die Mumie; Karl Freund)
-Scarface (dt.: Narbengesicht; Howard Hawks)
-The Old Dark House (dt.: Das alte finstere Haus; James Whale)


Michael Scheck

Dieser Film steht zum Verkauf:
Medium: DVD
Zustand: Neu gekauft, einmal angeschaut - Top-Zustand!
Hersteller: Warner (Warner Archive Collection; DVD-R, manufactured on demand)
Farbe: s/w
Dauer: 92 min (ungekürzt) 

Extras: keine
Untertitel: keine
Sprache: englischer Originalton
Regionalcode: 0

Preis: 12,90 Euro (plus 2,90 Euro Versand)


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