Freitag, 22. Mai 2020

Seh-Empfehlung: Reporter des Satans (Ace in the Hole, 1951)



Ein berühmter Klassiker


Mit Kirk Douglas, Jan Sterling, Robert Arthur, Porter Hall, Frank Cady, Ray Teal, Richard Benedict u.a.
Drehbuch: Billy Wilder, Lesser Samuels und Walter Newman
Regie: Billy Wilder
Genre: Drama
Studio: Paramount
Kino/TV-Auswertung im deutschsprachigen Raum: Kinopremiere im Februar 1952
Dauer: 111 min

Farbe: s/w


Billy Wilders Ace in the Hole gehört zweifellos zum Kanon der grossen amerikanischen Film-Klassiker - obwohl er eines der am wenigsten bekannten Werke Wilders ist. Seinerzeit flopte er an der Kinokasse und wurde dadurch zum finanziellen Desaster. Paramount änderte zwar noch kurzerhand den Titel (zum griffigeren The Big Carnival), das änderte aber nichts. Der Film fristet seither ein Schattendasein im Kanon der Wilder-Oeuvres.

Eine sensationelle Story
Der abgehalftere New Yorker
Star-Journalist Charles Tatum (Kirk Douglas) ist bei einem Provinzblatt in Albuquerque, New Mexiko gestrandet und wartet auf sein grosses journalistisches Comeback.
Dieses bahnt sich an, als Tatum und der junge Fotograf Herbie (Robert Arthur) auf dem Weg zu einer lokalen Klapperschlangen-Jagd zufällig von einem Unfall in einer indianischen Kultstätte erfahren, der sich kurz vor ihrem Eintreffen ereignet hat. Der Ladenbesitzer Leo Minosa (Richard Benedict) wurde auf der Suche nach Fundstücken in einer Höhle verschüttet und sitzt nun dort fest, die Beine eingeklemmt. Wegen drohender Einsturzgefahr kann er sich nicht rühren.
Wie ein Bluthund wittert Tatum die grosse Story, das Comeback rückt in greifbare Nähe. Er entlockt Leo ein paar persönliche Informationen und schon ist eine erste Story fertig. Sie schlägt in dem verschlafenen Kaff ein, wie eine Bombe. Prompt lockt sie erste Gaffer an. Und Tatum hat vor, die Geschichte auszumelken... 

Dazu muss er allerdings das Bergungsteam, das Leo in 16 Stunden zu befreien verspricht, davon überzeugen, besser einen Stollen von oben in den Berg zu treiben. Das ist angeblich der sicherere Weg. Diese Aktion wird mehrere Tage dauern - und die  braucht Tatum, um seine Story gross zu machen...

Zuerst erscheint die Familie um den freundlichen Al Federber (Frank Cady) am Schauplatz, angelockt von den Zeitungsberichten. Weitere Schauslustige tauchen auf, mit Campingwagen. Die Menschenansammlung lockt Schaubudenbesitzer an, ein Rummelplatz entsteht - wo viele Menschen sind, lässt sich was verdienen. Der Rummel lockt weitere Menschen an. Am Schluss findet vor der Höhle ein Volksfest statt, während Leo drinnen sein Leben aushaucht. Und keiner trägt die Schuld...
Ein
verblüffend passendes Bild, mit dem Wilder hier Tatums Tun spiegelt: Es ist genau dieselbe Spirale, die Tatum im Griff hat. Er schreibt, wenn etwas Schlimmes geschieht. Je schlimmer, desto mehr Menschen kaufen die Zeitung, desto höher wird die Auflage, desto
grösser wird der Druck nach mehr.
Tatum die alleinige Schuld an der Tragödie zu geben, greift zu kurz. Wilder macht klar, dass es in dieser Sache keine Unschuldigen gibt. Möglicherweise war dies der Grund, weshalb den Film keiner sehen wollte, löst er doch beim Betrachter ein ungutes Gefühl aus...
So gesehen, greift das Attribut "Mediensatire", mit dem der Film gemeinhin bedacht wird, zu kurz. Billy Wilder ist mit Ace in the Hole nicht weniger gelungen als ein treffende Allegorie auf die Natur des Menschen des 20. Jahrhunderts - und sie gilt noch heute. 

Kleine, dumpfe Individuen
Trotzdem war die Presse offensichtlich beleidigt von dem Bild, welches da von ihr gezeichnet wurde. Es hagelte schlechte Kritiken. Ace in the Hole war aber beileibe nicht der erste Film, der Journalisten mit Aasgeiern verglich. Es gibt zahlreiche vergleichbare Darstellungen im Film-Noir.
Er war aber wohl der erste, der dies als zentrales Thema einrückte - und es direkt in den zugehörigen gesellschaftlichen Kontext stellte.

Tatum ist kein "Reporter des Satans" - da verfällt der deutsche Verleihtitel in genau jene Sensationsmache, die der Film anprangert. Am Ende realisiert der Reporter, was er angerichtet hat, er verabscheut den Teufelskreis, in den ihn seine Arbeit immer wieder manövriert. Charles Tatum ist angewidert, von sich, von seinen Mitmenschen. Aber er liebt seine Arbeit - das macht der Film zwischendurch nuanciert deutlich. Sie macht ihn stumpf, er ist längst zum Objekt der Sensationslust der Massen, zu deren Held und Hofnarr geworden. Tatum ist schwach, obwohl er laut und selbstbewusst auftritt. Er weiss um seine Schwachheit und dafür hasst er sich. Und alle anderen.


Dem sensationsgeilen Pulk, der sich da zu tausenden vor der Höhle volksfestartig versammelt und einen rauschhaften Tanz um das goldene Kalb namens Sensation veranstaltet, stellt Billy Wilder die Eltern des Verschütteten und deren Glaube entgegen - deren Glaube an das Gute im Menschen und an eine übergeordnete Macht. Es ist nichts Lächerliches an deren Portraits, im Gegenteil. Wilder macht sich nicht über ihre "Naivität" lustig, sondern er setzt diese Figuren kommentarlos als moralische Instanz ein. Ihre Arglosigkeit steht in scharfem Kontrast zum sonstigen Geschehen und lässt es uns - durch ihre Augen - als das sehen, was es ist: Als monströsen Götzendienst einer entmenschlichten Gesellschaft.


Die schrecklichste Figur des Films ist Leos Ehefrau (Jan Sterling), ein egomanisches,

gefühlloses und boshaftes Wesen, das nur auf seinen Vorteil und Gewinn bedacht ist. Bis zum bitteren Ende ist sie zu keinem anderen Gedanken als an ihren eigenen Gewinn fähig. Gegen sie ist Tatum der reinste Chorknabe.
Sie wird zur zentralen Figur des Films: Solche Typen, scheint Wilder zu sagen, sind die Ursache allen Uebels: Kleine dumpfe Individuen, gefangen in ihrem unzufriedenen kleinen Selbst und derart strohdumm, dass sie sich als Nabel der Welt verstehen; die mit ihrer gefühl- und masslosen Gier auf die Verheissungen der Konsumgesellschaft - Spass und Sensationen - reagieren und diese damit anstachelt, zwecks Gewinnmaximierung weitere Bedürfnisse zu wecken, die dann von der Werbung zum Nennwert erhoben werden.
Es diese von Dummheit und Gier in Gang gehaltene Spirale, die Ace in the Hole mit bewundernswerter Konsequenz und erzählerischer Rafinesse aufdeckt. Der Spiegel den Wilder der gesamten modernen Menschheit da vorhält, zeigt die Wahrheit - und bis heute
hat sie Gültigkeit behalten. Billy Wilder ist kein Zyniker, wie mit Blick auf dieses Werk immer
wieder behauptet wird, sondern ein Moralist.
Es gibt zahlreiche Momente im Film, stumme Hinweise, welche diese These erhärten. Die Eltern des Opfers etwa, ich hatte sie bereits erwähnt. Oder das Kreuz, das im Hintergrund immer mal wieder ins Bild gerückt wird; es spricht im Zusammenhang mit den Ereignissen Bände - sofern man es denn beachtet.


Nach dem Flop
Der Film habe seiner Karriere geschadet, sagte Regisseur Billy Wilder einmal über Ace in the Hole - gleichzeitig hielt er ihn für eines seiner besten Werke.
Gedreht wurde er kurz nach dem riesigen Erfolg von Sunset Blvd. Nach dessen Erfolg gab das Paramount-Studio Wilder praktisch freie Hand. Dieser schrieb, inszenierte und produzierte Ace in the Hole mit unlimitierter künstlerischer Freitheit.
Nach dem ernüchternden Misserfolg stellte Wilder Stalag 17 fertig - danach drehte er praktisch nur noch Komödien: Von Manche mögen's heiss über Das Apartement bis zu Avanti, Avanti. Der seltsam distanzierte und untypische The Spirit of St.Louis und der dramatische Krimi Zeugin der Anklage bilden zwischen 1954 bis 1981 die einzigen Ausnahmen.

In den Credits späterer Neuauflagen des Films erscheint die Zeile "nach einer Story von Victor Desny". Victor Desny war ein Schauspieler jugoslawischer Abstammung, der in Hollywood kleine Nebenrollen in unbedeutenden Filmen spielte.
Mit Wilders Film hatte der Kerl trotz der Erwähnung im Vorspann gar nichts zu tun. Er war so gerissen, Wilder zu verklagen, weil er, Desny, das Copyright auf einer wahren Geschichte aus den Zwanzigerjahren besass, die gewisse Aehnlichkeiten mit dem Berwerksunglück im Film hatte. Kirk Douglas nimmt in einer Dialogzeiles des Films sogar expilzit auf den Fall Bezug, nennt den Namen des damals Verunglückten und betont die
Aehnlichkeit der Fälle.
Desny behauptete, Wilders Drehbuch sei eine unauthorisierte Version "seiner" Geschichte, zog (interessanterweise erst 1957) vor Gericht und gewann den Prozess. Wilder musste ihm 15'000 Dollar bezahlen. Desnys Name musste von da anin eine neu gestaltete Titelse-

quenz eingerückt werden.
Es sind weitere Fälle mit Desny als Kläger und Plagiatsopfer bekannt - offenbar konnte der Mann davon besser leben als von der Schauspielerei (er spielte zwischen 1949 und 1954 in exakt 17 Filmen mit, in 16 davon wurde sein Name nicht mal in den Credits erwähnt).
Victor Desnys Name, der bis heute stets im Zusammenhang mit diesem Film auftaucht, ist der einzige Zynismus, den ich in Ace in the Hole entdecken kann.
 



Ace in the Hole ist bei uns nicht offiziell auf DVD oder Blu-ray erschienen. Es gibt zwar eine DVD von der Firma Endless Classics, die auch bei Amazon erhältlich ist, von der man aber die Finger lassen sollte; unbestätigen Berichten zufolge soll es sich da um eine Raubkopie handeln.
Als Alternative gibt es eine Doppeledition (sowohl DVD als auch Blu-ray) von Masters of Cinema aus England (Region B/2) mit hervorragender Bild- und Tonqualität und tollen Extras.


Michael Scheck 

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