Montag, 3. August 2020

Kurzkritiken: Jagabongo - Süsser Vogel - Eva - Gauner

Der Urlaub ist vorbei, der Blog kommt wieder in die Gänge - mit dem wöchentlichen Rückblick auf gesehene Filme...


Jagabongo – Eine schrecklich nette Urwaldfamilie (Krippendorf's Tribe, 1998)
„Rassismus!“
Wenn man die Kommentare auf der Filmseite Letterboxd liest, dann ist dies klar der User-Konsens zu Todd Hollands Filmkomödie. 
Unglücklicherweise gibt es keine allgemein gültige Definition von Rassismus; was bedeutet, dass ich den Begriff nach Belieben verwenden kann – was im momentanen skandalgeilen Klima gern getan wird.
Ist es Rassismus, wenn sich eine weisse Familie als Eingeborene Papua Neuguineas verkleidet, sich als Stamm ausgibt, den der Vater, ein Professor der Anthropologie, in der Not frei erfunden hat? Nur weil sie sich die Gesichter mit Bräunungscreme einschmieren und in lächerlichen folkloristisch angehauchten Fantasie-Fummeln herumhüpfen? Ist dann nicht Peter Sellers in The Party auch rassistisch? Alec Guinness in A Passage to India? Immerhin sind Inder ein real existierendes Volk. Und was ist mit Steve Martin und – nochmals - Peter Sellers in The Pink Panther?
Ich befasse mich lieber mit dem Film.
Ich habe ihn mir trotz miserabler Wertung angeschaut –ich will mir jeweils selbst ein Bild machen. Oft komme ich zu anderen Schlüssen.
Die Story klingt nach «hit or miss» - die richtigen Leute könnten was draus machen, es könnte aber auch voll in die Hose gehen. Leider ist letzteres der Fall.
Krippendorf (Richard Dreyfuss) ein mittelmässiger Anthropologe und alleinerziehender Vater, verstrickt sich anlässlich eines vielbeachteten Vortrags über einen neu entdeckten Stamm in Papua-Neuguineas Urwald in Lügen, die sich angesichts des öffentlichen Interesses verselbständigen. Weil Krippendorf in Wahrheit gar nichts entdeckt hat, die Forschungsgelder aber braucht, um seine Familie über Wasser zu halten, improvisiert er vor dem Mikrofon und erfindet in seiner Verzweiflung einfach einen neuen Stamm. Das Echo der Öffentlichkeit ist überwältigend. Krippendorf muss als nächstes die Filmaufnahmen zeigen, von denen er gesprochen hatte. Aber woher nehmen? Doch wozu hat man eine Familie? Und Schminke? Und Fantasie?
Das komödiantische Potential dieser Prämisse ist beträchtlich. Doch Krippendorf’s Tribe ist so richtig schlecht. Nicht aus Gründen des Rassismus; der Film funktioniert nicht, weil das Drehbuch schlecht ist – Charlie Peters (Three Men and A Little Lady) schafft es nicht, komische Situationen richtig aufzubauen, also haut er sie einem um die Ohren. Ansätze zu guter Komödie scheint er nicht zu erkennen und lässt sie ungenutzt fallen. Zudem verrennt er sich in komplizierte «komischen» Situationen, aus denen er seine Figuren nur mittels billiger Tricks wieder herauskriegt.
Ähnliches lässt sich über Regisseur, Todd Holland sagen: Er macht Komödie mit dem Holzhammer und lässt die Akteure hemmungslos überborden – was nicht funktioniert, weil auch sie von komödiantischem Timing wenig Ahnung haben. Man wird das Gefühl nicht los, dass sie mit Geschrei und Gehampel gegen das unlustige Drehbuch ankämpfen wollen. Krippendorf’s Tribe wirkt trotz gestandener Schaupieler wie Amateurtheater.
Man kann ihn aus Gründen des Rassismus ablehnen - mir reichen dafür allerdings schon die Qualitätsgründe. Hierzulade erhältlich: antiquarisch auf DVD.

Süsser Vogel Jugend (Sweet Bird of Youth, 1962)
Sind eigentlich sämtliche Theaterstücke von Tennessee Williams verfilmt worden? Die meisten schon– einige sogar nur wenige Jahre nach deren Uraufführung. Das sagt einiges über Williams‘ Erfolg und auch über seine Nähe zur Filmwelt aus.
Sweet Bird of Youth
ist eines dieser damals brandaktuell für die Leinwand adaptierten Stücke: 1959 hatte es in New York City Premiere, der Film folgte bereits drei Jahre später – die wichtigen Rollen waren mit den Schauspielern der Theaterpremiere besetzt. Regie führte Richard Brooks, der bereits vier Jahre zuvor mit der Verfilmung des Williams-Stücks Cat on a Hot Tin Roof Furore machte – ebenfalls mit Paul Newman in der Hauptrolle. 

Der Herumtreiber Chance Wayne (Newman) stattet seiner Heimatstadt St.Cloud in Florida wieder einmal einen Besuch ab. Im Schlepptau hat er die abgehalfterte Hollywood-Schauspielerin Alexandra Del Lago (Geraldine Page), die er als seine Chance ansieht, in Hollywoods Filmwelt Fuss zu fassen. Er hoffiert sie, spielt den jugendlichen Liebhaber; die alkohol- und hasch-abhängige Diva ist jedoch viel zu sehr in ihr eigenes Ego verstrickt, um ihn richtig wahrzunehmen. Durch Waynes Auftauchen im Städtchen werden alte Geschichten ans Tageslicht gespült, die man dort lieber unter dem Deckel gehalten hätte – allen voran die noch immer brennende Liebe zwischen Wayne und Heavenly (Shirley Knight), der Tochter des korrupten Lokalpolitikers „Boss“ Finley (Ed Begley). Wayne wird mehrmals gewarnt, die Stadt zu verlassen, doch sein störrisches und unbekümmertes Wesen lässt ihn alle Alarmzeichen in den Wind schlagen; ohne es wahrhaben zu wollen, beschwört er eine Katastrophe herauf... 
Das schreckliche Original-Ende (Wayne wird vom irren Finley-Sohn kastriert) musste wegen des damals noch streng gehandhabten Production-Codes geändert werden – in etwas, das einem Happy-Ende recht nahe kommt, sich aber im Kontext fremd anfühlt. Wohl deshalb gilt Sweet Bird of Youth als nicht besonders gelungene Williams-Adaption. Alles andere an diesem Film ist gelungen. Obwohl er seine Bühnenherkunft nicht verleugnen kann (wenige Szenenwechsel, viel Dialog), fesseln die schauspielerischen Leistungen sämtlicher Beteiligter über die gesamte Filmdauer – vor allem Geraldine Pages Leistung als abgetakelte Filmdiva brennt sich ein: Sie gehört zu den schauspielerischen Höhepunkten des amerikanischen Kinos. Richard Brooks Regie ist einfallsreich, subtil und feinfühlig – und die Vorlage, Williams' Stück, glänzt mit tollen Dialogen, lebendigen Hauptfiguren und felsenfestem Aufbau.
Thematisch ist das Ganze schon sehr weit entfernt; aber wem hervorragende handwerkliche Qualität genug ist, wird an Sweet Bird of Youth seine Freude haben. Hierzulande erhältlich: antiquarisch auf DVD; im Stream: bei CHILI

Eva mit den drei Gesichtern (Three Faces of Eve, 1957)
Vor kurzem hatte ich hier über Hugo Haas’ Psychiatriedrama Lizzie von 1957 geschrieben. Im selben Jahr, knapp sechs Monate später, erschien The Three Faces of Eve, welcher genau dieselbe Geschichte erzählt. Hauptdarstellerin Joanne Woodward erhielt dafür einen Oscar.
The Three Faces of Eve handelt von einer jungen Frau, die unbewusst an einer multiplen Persönlichkeitsstörung (heute dissoziative Identitätsstörung genannt) leidet. Genau wie im Vorgängerfilm ist die «Alltagsversion» von Eve eine mausgraue, zurückgezogene Frau; hier ist sie Hausfrau und hat eine kleine Familie. Die «andere Eve», die nur sporadisch zum Vorschein kommt, ist eine vergnügungs- und männersüchtige Göre – genau wie in Lizzie. Und ebenfalls in Lizzie kommt am Ende eine dritte Persönlichkeit zum Vorschein – das lange verschüttete Original.
Dass die Parallelen purer Zufall sind, schliesse ich aus; dafür sind es zuviele aufs Mal. Aber laufen vielleicht alle Fälle von dissoziativer Identitätsstörung nach demselben Muster ab? Auch dies ist auszuschliessen (siehe dazu meinen Text zu Lizzie).
Drehbuchautor/Regisseur Nunally Johnson musste bei der Umarbeitung in einen Unterhaltungsfilm die wissenschaftlichen Ausführungen, auf denen er basiert, publikumswirksam aufbereiten. Trotzdem gibt er dem Film den Anschein der Echtheit, indem er den britischen Journalisten Alastair Cooke vor den Film spannt und ihn versichern lässt, dass man gleich «die Wahrheit» zu sehen bekomme, was einer Verschaukelung des Publikums gleichkommt: Was nachher folgt, ist eine etwas zahmere Version von Lizzie; nur ist The Three Faces of Eve deutlich mehr an der Ausschlachtung als an der Vermittlung der Fakten interessiert. Johnsons Film involviert die Zuschauer kaum, er bleibt distanziert und oberflächlich - und wirkt somit ein erster Linie wie eine Plattform für eine talentierte Schauspielerin.
Joanne Woodward ergreift die Gelegenheit und legt eine grandiose Leistung hin – an Eleanor Parker in derselben Rolle in Lizzie reicht sie aber trotz Oscar nicht heran.
Der Film ist bei uns nicht erhältlich. In den USA ist er auf Blu-ray und DVD erschienen.


Gauner mit Herz (The Young in Heart, 1938)
Die blaublütigen Carltons sind eine Familie zum Knuddeln: Marmy (Billie Burke) und Papa „Sahib“ (Roland Young) sind stolz, dass ihr Sohn Richard (Douglas Fairbanks Jr.) in Monte Carlo bald in eine reiche Familie einheiratet. Da scheint es nebensächlich, dass Tochter George-Anne (Janet Gaynor in ihrer letzten grossen Rolle) sich in den gewöhnlichen Duncan MacRae (Richard Carlson in seiner ersten Rolle) verliebt hat. Doch die Freude währt nicht lange: Die Carltons werden von der Polizei „gebeten“, Monte Carlo sofort zu verlassen - man ist ihnen auf die Schliche gekommen. Denn die Carltons sind Betrüger, Schmarotzer, die auf Kosten der Reichen leben; keiner von ihnen hat je im Leben wirklich gearbeitet. Und adlig sind sie schon gar nicht.
Das ist die Ausgangslage dieser herrlichen Komödie aus den Dreissigerjahren, die heute leider völlig vergessen ist. Produziert wurde sie von David O. Selznick, Regie führte der heute kaum mehr bekannte Richard Wallace, der Maurice Chevaliers ersten Tonfilm (vor The Love Parade) inszeniert hatte. Das pointenreiche Drehbuch stammt aus der Feder von Paul Osborn (Die Wildnis ruft, Jenseits von Eden).

Die Produktion überrascht mit ihrem teuren Look: Es ist eine Augenweide, was da an Detailliebe und vor allem Kosten in die Ausstattung, das Design und die Special Effects gesteckt wurde - bei Selznick gehörte dies zum guten Ton, auch für Komödien. Es gibt ein aufwändig inszeniertes Zugsunglück, ein futuristisches Rennauto, die detailreiche Ausstattung eines simplen Ingenieursbüros lässt einen staunen, ebenso andere Lokalitäten wie ein Nightclub oder ein Autosalon. Freunde des Art déco werden ihre Freude an The Young in Heart haben; ich empfand all die Pracht und Schönheit in einer leichten Komödie eher gewöhnungsbedürftig. 
Zurück zur Handlung: Die Carltons lernen nach ihrem Hinauswurf aus Monte Carlo im Zug eine einsame und vor allem reiche alte Dame (Minnie Dupree) kennen, mit der sie sich soweit anfreunden, dass sie von ihr in ihre Londoner Residenz eingeladen werden. Der Plan ist, sich die Aufnahme ins Testament der Gastgeberin zu erschleichen. Um deren Anwalt zu täuschen müssen sich die beiden Männer der Familie eine ehrliche Arbeit suchen. Und da beginnt nun der Reformationsprozess der Gauner mit Herz (so der deutsche Filmtitel): Richard und sein Vater finden Spass und Befriedigung in ihren Jobs – kommt dazu, dass die knuffige alte Dame sämtlichen Carltons immer mehr ans Herz wächst…
The Young at Heart erfreut mit pfiffigen Dialogen, originellen Charakteren, einem durchgängig heiteren, unbeschwerten Grundton und einer grandiosen Besetzung, die so richtig toll harmoniert. Leider gibt es eine Schwachstelle: Neben all den grandiosen Darstellern fällt Minnie Dupree als die alte Dame stark ab – sie spielt ihre Rolle mit einem Zuviel an Pathos, was unnötig ist. Schade, dass der Regisseur sie in dieser Beziehung nicht zurückgebunden hat. Die Rolle ist im Drehbuch schon so sympathisch angelegt, dass sie keiner zusätzlichen Zuckerglasur bedurft hätte.
Trotzdem: Ein sehenswerter Klassiker, der einen Blick unbedingt lohnt.
Der Film ist bei uns nicht erhältlich. In den USA ist er auf Blu-ray und DVD erschienen.

Michael Scheck

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