Sonntag, 19. Juli 2020

Liebesparade (The Love Parade, 1929)



The Love Parade (dt.: Liebesparade, 1929)
Mit Maurice Chevalier, Jeanette MacDonald, Edgar Norton, Lupino Lane, Lillian Roth, Lionel Belmore u.a.
Drehbuch: Ernest Vajda und Guy Bolton nach einem Theaterstück von Leon Xanrof und Jules Chancel
Regie: Ernst LubitschGenre: Komödie, Musical, Romanze 
Kamera: Victor Milner
Musik: Victor Schertzinger
Studio: Paramount
Kino/TV-Auswertung im deutschsprachigen Raum: 1930
Dauer: 107 min

Farbe: schwarzweiss



Im Operettenstaat Sylvanien herrscht Ratlosigkeit: Die Königin (Jeanette MacDonald) findet keinen Mann. Niemand will König werden, weil die Macht allein bei der Königin liegt; ihr Gatte wäre völlig bedeutungslos und zum Nichtstun verdammt.
Doch da verliebt sich Graf Renard (Maurice Chevallier) in die schöne Monarchin; weil dieser sein halbes Leben in Paris verbracht hatte, ahnt er nichts von den royalen Gepflogenheiten... Die Ernüchterung kommt sehr schnell nach der Hochzeit...


The Love Parade ist als Ernst Lubitschs erster Tonfilm in die Filmgeschichte eingegangen - und eigentlich müsste er auch als das erste Filmmusical gelten, das dieses Attribut wirklich verdient.
Der Tonfilm war zu jener Zeit gerade eine sensationelle Neuheit und das Publikumsinteresse war riesig. Sofort erkannten die Produzenten den Kassenwert der bereits auf den Theaterbühnen beliebten Musicals und begannen solche für den Film zu adaptieren - was allerdings oft nicht viel mehr bedeutete, als dass verschiedene Bühnennummern abgefilmt - meist aus ein und demselben Kamerawinkel - und dann durch eine Nebenhandlung zusammengeschustert wurden. Es gab aber - bereits ganz zu Beginn - zwei Produktionen, die sorgfältiger und liebevoller mit dem Musicalgenre umgingen. Einer der grössten Erfolge in dieser Richtung war MGMs The Broadway Melody (1929). Er wurde noch in den Schatten gestellt von Paramounts The Love Parade (ebenfalls 1929), der fünf Monate später folgte und von dem hier die Rede sein soll. 


Während The Broadway Melody das Genre selbst bespiegelt und am Broadway spielt, führt uns The Love Parade in die romantische Märchenwelt der Operette - und an den Hof eines osteuropäischen Fantasiestaates. Das bedeutete, dass die Gesangseinlagen sich nicht "natürlich" in die Handlung einfügen wie bei einem Film aus dem Bühnenlmilieu. Hier musste das Singen in eine "singfremde" Handlung eingebaut werden. Lubitsch erreichte dies mit der Maxime, die Lieder müssten die Handlung weitertreiben. Damit ging er gleich bei seinem ersten Versuch aufs Ganze, denn so etwas war damals neu. Ausgehend von der Operettte, wo die Figuren mal singend, mal sprechend kommunizieren, erfand Lubisch das Filmmusical, so, wie es später in Hollywood populär werden sollte. The Love Parade ist in die Filmgeschichte eingegangen als erstes Musical, in dem das Singen die Handlung vorantreibt. Eigentlich müsste man das korrigieren und ihn als das erste moderne Filmmusical bezeichnen.
Überspitzt ausgedrückt kann man sagen: Lubitsch hat das amerikanische Filmmusical aus der Tradition der europäischen Operette entwickelt.


Was Filmkennern sofort auffällt, ist die Leichtigkeit, mit welcher hier die damaligen tontechnischen Hindernisse gemeistert werden. Ohne Kenntnis des Erscheinungsdatums
hätte ich diesen Film in die frühen Dreissigerjahre vermutet, wo sich der Umgang mit komplexen Tonproblemen bereits etabliert hatte. Gerade bei einem Musical waren die Anforderungen diesbezüglich besonders hoch, und es ist interessant, dass Lubitsch sich ausgerechnet das schwierigste Genre für sein erstes Tonfilmexperiment ausgesucht hatte! Er betrat damit Neuland.
Es gibt Sequenzen in diesem Film, die heute gar nicht mehr auffallen, die damals aber eine Sensation waren. Jene Gesangsnummer etwa, wo zwei Paare an unterschiedlichen Schauplätzen im Wechsel ein Lied zum besten geben, während ständig zwischen den beiden hin- und hergeschnitten wird. So etwas war damals praktisch ein Ding der Unmöglichkeit;
die Nachsynchronisation steckte noch in den Kinderschuhen und war nur äusserst limitiert einsetzbar. Ein Schneiden zu einem anderen Schauplatz mitten in einem Lied war aus diesen Gründen noch gar nicht praktizierbar; es hätte wahrscheinlich zu lächerlich wirkender A-Synchronität geführt. Die Mikrophone - klobige, unbewegliche Dinger, die vor der Kamera versteckt werden mussten - machten ein "Singen an Ort" erforderlich. Die Sängerinnen und Sänger duften sich nicht zu weit davon entfernen, sonst hätte man sie nicht mehr verstanden. Um die Kameras herum mussten dickwandige Boxen gebaut werden, damit deren lautes Rattern im Film nicht zu hören war. 

Im Film The Broadway Melody gab es zwar bereits Schnitte mitten in einem Lied, doch mit diesen wurde jeweils nur von der Totalen zur Halbtotalen und wieder zurück gewechselt, mit gleichbleibendem Schauplatz. Das Bewusstsein für die durch die Tontechnik entstandene Gefahr der Statik war durchaus vorhanden und man versuchte sie zu umgehen - nicht zuletzt weil in den letzten Jahren des Stummfilms die Kamera durch technische Verbesserungen immer entfesselter geworden war. In cinéastischer Hinsicht brachten die Limiten, die der Tonfilm setzte, zunächst einen gewaltigen Rückschritt. Diese zu überwinden war eine neue Pionieraufgabe.

Die Musicalnummern in The Broadway Melody wurden mit mehreren Kameras gleichzeitig aufgenommen, um den oben erwähnten Effekt zu erzielen, jede an einem anderen Standort. Hinterher konnte man durch den Schnitt etwas Leben in die statischen Sequenzen bringen.

Lubitsch übernahm diese Idee, baute sie aber noch erheblich aus. So liess er zwei völlig unterschiedliche Sets nebeneinander aufbauen. Vor jedes Set wurde eine Kamera platziert, dazwischen oder dahinter ein Orchester. Die beiden Sets wurden mit je einem Sängerpaar bestückt, welches das Lied im Wechsel zum besten gab. Gefilmt wurde linear mit beiden Kameras. Danach konnte zwischen den beiden Schauplätzen hin- und hergeschnitten werden, was einen viel lebendigeren Effekt ergab als bei The Boradway Melody
Beide Verfahrensweisen waren allerdings immens teuer und konnten nur bei Prestigeprojekten angewendet werden. Das erklärt, weshalb Lubitschs Ideen vom Gros der Musicalproduktionen jener Zeit (und es waren wirklich viele) nicht aufgegriffen wurden. Sie waren schlichtweg zu kostspielig. Die meisten damaligen Musicals bleiben deshalb steife, einfallsarme Nummernrevuen - bis das Publikum davon die Nase voll hatte. Erst der Choreograf Busby Berkeley und der Regisseur Lloyd Bacon verhalfen dem Genre mit ihrem bahnbrechenden 42nd Street 1933 wieder zu neuem Aufschwung.

Es gibt noch unzählige weitere Einfälle, mit denen Lubitsch The Love Parade Leben einhauchte. In einer Sequenz singen Maurice Chevalier, Lupino Lane und dessen Hund nach oben beschriebenem Muster ein Lied zu dritt. Die Duette zwischen MacDonald und Chevalier sind zwar statisch inszeniert, werden aber jeweils durch originelle pantomimische Untermalung aufgelockert; darüberhinaus inszeniert Lubitsch mit der Musik, so dass der Film wie ein ausgedehnter Tanz oder ein Reigen wirkt.
Darüberhinaus wurden mehrere Nebendarsteller engagiert, die damals für ihre komischen Talente bekannt waren, Lupino Lane etwa, der zur Stummfilmzeit für seine akrobatische Komik bekannt war und der in den letzten Jahren wieder entdeckt wurde; ein weiterer Stummfilmkomiker, der schieläugige Stummf Ben Turpin, hat einen kurzen Auftritt.


Bis etwa 30 Minuten vor Schluss ist es das reine Vergnügen, zuzuschauen. Danach bricht sich leider ein Chauvinismus Bahn, der den Spass etwas trübt. Als Prinz Alfred entdeckt, dass seine Frau, die Königin, das Sagen hat, kehrt er den Macho 'raus und zwingt sie, klein beizugeben. Schliesslich müssen die Männer das Sagen haben, nicht die Frauen - so lautet die Quintesszenz von The Love Parade. Man muss ihn aus feministischen Gründen nun nicht gleich verbieten - das wäre Kulturterrorismus - muss aber doch feststellen, dass er in dieser Hinsicht leider völlig veraltet ist. Gleichzeitig muss auch gesagt werden, dass dies seine Pionierleistungen und seine Bedeutung für die Filmgeschichte nicht schmälert.

Die Investitionen, die Paramount in dieses Projekt steckten, hatten sich gelohnt: Das Publikum wusste Lubitschs Regieeinfälle zu schätzen, The Love Parade wurde ein Riesenerfolg. Maurice Chevalier und Jeanette MacDonald wurden damit über Nacht zu Stars. Beide waren in den USA zuvor völlig unbekannt - der fanzösische Cabaret-Star Chevalier war auf dem Kontinent zwar kein unbeflecktes Blatt und war in Frankreich bereits in Filmen aufgetreten, doch in den USA kannte ihn noch niemand (sein erster US-Film war ein Flop). Jeanette MacDonald wurde von Lubitsch entdeckt, The Love Parade war ihr erster Filmauftritt überhaupt. Die Chemie zwischen den beiden stimmte derart, dass sie für eine gewisse Zeit zum Leinwandpaar gemacht wurden.
Der doppelbegabte Victor Schertzinger übrigens, der die Musik zu diesem Film schrieb, war derselbe Victor Schertzinger, der als Regisseur der ersten beiden Road to... Filme mit Bob Hope und Bing Crosby firmierte; 1934 wurde er gar für den Oscar in der Sparte "bester Regisseur" nominiert.


Der Film ist - unnötig zu erwähnen - hierzulande natürlich weder auf Blu-ray noch auf DVD erschienen. Man findet ihn in der DVD-Box "Lubitsch Musicals", das von der Criterion Collection innerhalb deren Eclipse-Serie herausgegeben wurde; sie enthält auch die drei restlichen Lubitsch-Chevalier-Kolaborationen.



Michael Scheck

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