Donnerstag, 7. Januar 2021

Seh-Empfehlung 18: Ein Meer der Gefühle (Passion Fish, 1992)


Originaltitel: Passion Fish
Deutscher Titel: Ein Meer der Gefühle
Mit Mary McDonnell, Alfre Woodard, David Strathairn, Angela Bassett, Vondie Curtis-Hall, Leo Burmester, u.a.
Drehbuch und Regie: John Sayles
USA 1992
Dauer: 135 min

May-Alice Culhane (Mary McDonnell), Star einer berühmten Soap-Opera, wird nach einem Autounfall zur Paraplegikerin. Die pflegebedürftige Schauspielerin kehrt in ihr Elternhaus in Louisiana zurück, das sie seit ihrer Jugendzeit nicht mehr besucht hat. Sie zieht sich zurück, beginnt zu trinken und verbringt ganze Nachmittage vor dem Fernseher. Eines Tages taucht die verschlossene junge afroamerikanische Pflegerin Chantelle (Alfre Woddard) bei ihr auf. Je mehr Zeit die beiden Frauen miteinander in dem einsamen Haus verbringen, desto näher kommen sie sich. Dabei wird deutlich, dass auch Chantelle ein schweres Schicksal mit sich herumschleppt. Langsam, Schrittchen für Schrittchen, öffnen die beiden Frauen sich und ihre kleine, abgezirkelte Welt der Aussenwelt. So wachsen und gesunden sie am Kontakt miteinander und an den Reibungen mit den Schatten- und Sonnenseiten des Lebens.

In Berichten zu diesem Film wird immer wieder der soziale Unterschied der beiden Protagonistinnen herausgestrichen, und in erstaunlicher Einmündigkeit wird betont, dieser sei das zentrale Thema von Passion Fish. Natürlich steht der privilegierte Status des Unfallopfers thematisch ab und zu im Raum, doch daraus eine Absicht auf Sozialkritik abzuleiten, scheint mir schon etwas gewagt und eher dem Wunschdenken klassenbewusster linker Feuilletonisten zu entspringen. 
So wohlfeil lässt sich John Sayles Film freilich nicht oder nur von simplen Gemütern 
auf eine griffige Ideologie reduzieren und man tut dem grandiosen Film damit Unrecht - es steckt weit mehr drin. Er zeigt nicht weniger als das Leben mit all seinen Mühen und Lasten, mit seinen flüchtigen Momenten der Freude und des Staunens, die es festzuhalten gilt. Und er zeigt den menschlichen Geist, der die Kraft besitzt, dem körperlichen Leiden etwas entgegenzusetzen - wenn der Wille da ist. Der erträgt und dadurch im Leid Neues entdeckt - und den Menschen so auf neue Wege führt. Der im Gegenüber Antworten findet und Freude und Trost. 
John Sayles' Kunst ist es, dies alles anzusprechen, in aller Schlichtheit vorzuführen - und dabei nicht wie ein Prediger zu klingen!

Passion Fish ist ein Film, der praktisch in jeder Nacherzählung wie eine Soap Opera klingt. Doch in John Sayles fähigen Händen wird das genaue Gegenteil daraus - ein wohltuend unsentimentaler Film. John Sayles, der inszenierte und das Drehbuch verfasste, scheint ein natürliches Flair für gebrochene Menschen zu haben: Nie kommt das Gefühl auf, er versuche die Gefühligkeit künstlich niedrig zu halten, alles an seinem Film scheint natürlich und vor allem persönlich. So erklärt sich das scheinbare Paradox, dass er sowohl unsentimental und streckenweise gar komödiantisch vorgeht und trotzdem sehr berührend ist, stellenweise gar zu Tränen zu rühren vermag.

Sayles' erzählt ohne viele Worte; Blicke, Gesten, Situationen sprechen Bände; seine Dialoge sind meisterhaft - jede seiner Figuren, auch wenn sie nur eine kleine Rolle spielt, hat ihre eigene Art, sich auszudrücken. Sayles gelingt das Kunststück, seinen Charakteren mit wenig Mitteln Leben einzuhauchen und sie mit wenigen Mitteln zu glaubwürdigen Persönlichkeiten auszumodelllieren. Ein hervorragendes Ensemble unterstützt ihn dabei - besonders die beiden Hauptdarstellerinnen glänzen mit ihren intensiven Darstellungen der beiden sperrigen Hauptfiguren.
Das einzige Minus, das ich bei diesem wunderbaren Film finden kann, ist der deutsche Titel! Ein Meer der Gefühle weckt genau die falschen Assoziationen, an etwas, was der Film nicht ist und nicht sein will. 

Passion Fish ist bei uns auf DVD erhältlich und kann bei amazon.de auch online geschaut werden.

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