Regie: Jean Renoir
Drehbuch, Charles Spaak, Jean Renoir
Mit Jean Gabin, Pierre Fresnay, Erich von Stroheim, Macel Dalio, Dita Parlo u.a.
Erneut habe ich mich - nach Casablanca - an einen der "grössten Filme aller Zeiten" herangewagt. Es ist wieder ein Kriegsfilm, allerdings ist der Krieg darin nie zu sehen, er ist aber im Kontext stets präsent.
Jean Renoirs gefeierter Film La grande illusion handelt von einer Gruppe französischer Kriegsgefangener im ersten Weltkrieg, die immer wieder versuchen, aus den deutschen Lagern auszubrechen, in die sie im Lauf des Films verbracht werden. In diesen Lagern herrscht ein freundschaftlicher Umgang vor, harsch und laut werden die Bewacher nur, wenn ihre Reglemente ins Spiel kommen und dies verlangen. Ausserhalb davon schiebt man sich auch mal ein paar Zigaretten 'rüber, klopft einander auf die Schulter oder lädt sich gegenseitig zum bunten Abend ein.
Renoirs Botschaft wird rasch deutlich: "Der Feind" ist ein Phantom, ein bürokratisches Konstrukt, entstanden und am Leben erhalten durch Grenzen und Nationalismus. Ausserhalb der Bürozeiten und der Kampfzonen behandelt man sich gegenseitig lieber mit Respekt und Achtung, als egalitäre, gleichwertige Menschen. Im Gefängnis sind alle gleich: Nationalität, Rang, gesellschaftlicher Stand und sogar Geschlecht - alles löst sich auf und dahinter erscheint der Mensch als solcher.
Mit dieser seiner Moral rennt der Film heute, im Zeitalter der schrankenlosen Beliebigkeit, offene Türen ein - damals war das eine Sensation und wurde gefeiert.
La grande illusion wirkt noch heute auf den Betrachter - zunächst staunt man über den komödiantischen Ton, der fast das ganze Werk durchzieht. Dann ist man fasziniert von der wohltuenden Mitmenschlichkeit, dem humanistischen Geist, den der Film atmet, berührt auch von der Wärme und der Melancholie in der zweiten Hälfte. Es wird klar: La grande illusion ist kein realistisches Abbild einer Gesellschaft im Krieg, es handelt sich vielmehr um eine hoffnungsvolle positive Utopie aus welcher der Glaube an das Gute und Verbindende im Menschen spricht. Und als solche besitzt Renoirs Film noch immer grosse Faszinationskraft. Auch wenn man heute desillusionierter ist als damals, kurz vor dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges und somit umso besser weiss, dass Renoir ein realitätsferner Träumer war und sein Film ein Luftschloss.
Und doch: Zu gern man möchte glauben, was man da sieht; vielleicht besitzt der Film und seine unwiderstehliche Utopie ja die Kraft, in vereinzelten Kinogängern etwas zu bewirken, zu verändern.
Renoir verankert seine traumhaft anmutende Geschichte schlau in der Realität, die er schnörkellos in Szene setzt. So verleitet er uns zum Glauben an die schönen Gedanken die er uns dazu auftischt. Wäre es nicht schön, es wäre wahr? Das ist die Faszination dieses Films: Er präsentiert die Utopie "alle Menschen werden Brüder" dergestalt, dass man bereit ist, sich der Idee hinzugeben und - wenigstens für die kurze Filmdauer - sich die wohltuende Vorstellung anzueignen.
Aber La grande illusion besitzt auch starke handwerkliche Vorzüge: Von der Kameraarbeit übers Drehbuch bis zur Montage sind alle Aspekte des Filmemachens erstklassig. Renoir appelliert mit seiner sprunghaften Erzählweise immer wieder an die Intelligenz der Zuschauer und erzählt ohne langatmige Erklärungen abzugeben in Bildfolgen, welche die nötigen Informationen beinhalten. Das war damals zumindest ungewöhnlich.
Dann die Schauspieler: Ausnahmslos alle erbringen Bestleistungen, die noch lange im Gedächtnis haften bleiben.
Den Figuren, die sie spielen, verleihen einige von ihnen - Jean Gabin, Marcel Dalio, Erich von Stroheim, Pierre Fresnay, Julien Carette und ganz stark Dita Parlo - Kraft ihrer Persönlichkeit Tiefe, die in der Drehbuchvorlage gar nicht besonders ausgeprägt vorhanden ist. Sie tragen den Film und machen ihn - zusammen mit dem überraschenden Humor und der positiven Grundstimmung - zu einem spannenden und anregenden Werk, dessen zentrales Thema - Grenzen und deren Überwindung - in verschiedenen Facetten durch den ganzen Film mäandert und ihn durchdringt.
La grande illusion ist einer jener Filme, die auf auf vielen Bestenlisten vertreten sind - im Gegensatz zu Casablanca steht er dort m.E. zu Recht.
Er ist im deutschsprachigen Raum auf Blu-ray erschienen und kann zudem online bei verschiedenen Anbietern geschaut werden.
Alternativ kann man ihn hier online in voller Länge, in der originalen Sprachfassung mit englischen Untertiteln ansehen.
Unter diesem Titel werden hier andere von mir geschaute Filme kurz besprochen, Filme, die in meinem Empfinden gegenüber dem oben beschriebenen weniger gut abschnitten (in absteigender Reihenfolge):
Die scharlachrote Blume (The Scarlet Pimpernel, UK 1934)
Britischer Historienfilm aus dem Hause Korda.
Ein mysteriöser Engländer rettet in Paris Adelige vor dem Wüten der Französischen Revolution - namentlich vor der Guillotine - und bringt sie nach England in Sicherheit. Er firmiert unter dem Pseudonym "Scarlet Pimpernel" und hat einen ganzen Trupp Gehilfen und Spione, die für ihn arbeiten. Dass er sich hinter der Fassade des tüdeligen Aristokraten Sir Percy Blakeney verbirgt (Leslie Howard), ahnt niemand, nicht mal seine Gattin (Merle Oberon); diese wird vom französischen Botschafter (Raymond Massey) erpresst, sie soll die wahre Identität des mysteriösen Rächers herausfinden.
Der Film beginnt äusserst stimmungsvoll und spannend - die legendären Studiobauten von Vincent Korda zaubern ein prachtvoll pittoreskes Paris auf die Leinwand. Die Französische Revolution dient den Machern nur als Vorwand für die Erzählung und wird nicht genauer beleuchtet. Die Gut-Böse-Verteilung ist allerdings klar definiert: Englische Aristokraten gut, Französische Revolutionäre böse.
Bis zur Hälfte ist der Film interessant, eine Augenweide und vor allem sehr witzig. Doch dann beginnt die Dramaturgie plötzlich zu harzen und zu holpern; unwichtige Sequenzen werden über Gebühr in die Länge gezogen, das Ganze wird immer dialoglastiger und die Schauplätze sehen immer ärmlicher aus. Der Showdown schliesslich wirkt billig und überhastet.
Am Ende hat der Film den guten Eindruck, den er zu Beginn machte, zur Hälfte verspielt.
Topper geht auf Reisen (Topper Takes A Trip, 1938)
Der zweite Topper-Film, diesmal ohne Cary Grant (der nicht mehr mitmachen wollte); Constance Bennett ist wieder mit dabei, als Geist, der eine gute Tat vollbringen will, um in den Himmel zu kommen. Erneut sucht sie sich den Bankier Cosmo Topper (Roland Young) dafür aus, dessen gefährdete Ehe sie retten möchte.
Nicht mehr so bodenlos albern wie der erste Teil, aber leider krankt der von Hal Roach produzierte Film daran, dass Roland Young das komödiantische Format abgeht, das der absurde Plot verlangt. Der heute vergessene Komödiant und langjährige Roach-Protégé Charley Chase wäre genau der richtige für die Rolle gewesen, doch der wurde von Roach zwei Jahre zuvor leichtfertigerweise gefeuert.
So ermüdet Topper Takes A Trip bereits nach zwanzig Minuten.
Everything Everywhere All At Once (2022)
Es tut mir leid, den Hype um diesen abstrusen Film mag ich nicht teilen. Damit ging es mir ähnlich wie mit den ganzen Marvel-Verfilmungen, mit denen ich auch absolut überhaupt gar nichts anfangen kann, weil sie mir zu kindisch sind und weil sie diese Kindischheit meist mit heiligem Ernst zelebrieren.
Ähnlich verfährt dieser Streifen, den ich nach gut der Hälfte der Laufzeit genervt verlassen habe. Der ganze abstruse Multiversen-Stuss war mir genauso zuwider wie der Matrix-Film, für den ich ebenfalls nichts übrig habe.
Dann noch lieber Star Trek, da wird einem der Science-Fiction-Blödsinn wenigstens mit Humor kredenzt. Letzteren konnte ich in Everything.... nirgends ausmachen. Dabei hätte er geholfen.
Insider (The Insider, 1999)
Immer wieder hat das US-Kino die Presse als unabhängige Instanz und einzelne Investigativ-Journalisten als heroisch abgefeiert. So auch in diesem Film, in dem ein hartnäckiger Reporter (Al Pacino) mit Hilfe eines Insiders (Russell Crowe) einen Skandal der naturgemäss bösen Tabakindustrie aufdeckt.
Dieses romatisierend-beschönigende Bild Hollywoods von der Presse fand ich schon immer daneben - man zeigt uns, wie es sein sollte (wogegen ich gar nichts einzuwenden habe), tut aber so, als wäre dies längst Realität. Im Zuge der Entwicklung der Medien in den letzten paar Jahren finde ich das inzwischen gar Übelkeit erregend. Michael Manns Film reiht sich ins linkspopulistische Muster der Presse-Glorifizierung ein und führt mittels des üblichen Gut-Böse-Rasters vor, wie zwei Einzelkämpfer es den bösen Multis zeigen.
Ich kann Dir bei Insider nur zustimmen, und mit Deiner Hauptbesprechung hast Du mich auf einen Film neugierig gemacht, von dem ich bislang nichts wusste. Danke dafür :)
AntwortenLöschenDanke, das freut mich natürlich.
LöschenEine Review zum "Insider" habe ich auf Deiner Seite zwar gesucht leider nicht gefunden...
Den habe ich zu einer Zeit geguckt, als ich noch nicht so regelmäßig Filmkritiken schrieb. Aber ich weiß noch dass er ziemlich 08/15 erzählt war, und diesen verträumten Blick auf die US-Presse erlebt man ja immer wieder im Kino.
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