Donnerstag, 15. April 2021

Seh-Empfehlung 26: Drei Caballeros (1944)


USA 1944
Originaltitel: The Three Caballeros
USA 1943
Mit Aurora Miranda, Carmen Molina, u.a.
Regie: Norman Ferguson (Gesamtleitung), Clyde Geroninmi, Jack Kinney, Bill Roberts und Harold Young
Produktion: Walt Disney

Vor der Sichtung:
Über die meisten Filme Walt Disneys wurde schon genug gesagt und geschrieben. Ausser über Three Caballeros, den ich als Disneys unterschätztes Meisterwerk bezeichnen möchte (im Gegensatz zu Fantasia, der den semi-offiziellen Titel „Disneys anerkanntes Meisterwerk“ trägt).
Tatsächlich sticht Three Caballeros bereits auf den ersten Blick aus dem Gros von „Uncle Walts“ familientauglichen animierten Abendfüllern heraus: Durch seine Aufmachung, seinen Inhalt, sein Artwork und seinen sexuellen Unterton.
Wir haben es hier mit einem Epiosodenfilm zu tun, dem zweiten aus Disneys Schaffensbereich, der sich mit den „südamerikanischen Freunden“ befasst. Bereits ein Jahr zuvor entstand der ähnlich gelagerte Saludos Amigos, quasi als Nebenprodukt einer politisch motivierten „Good Neighbours“-Tour  des Studiochefs und einiger Mitarbeiter nach Südamerika (man suchte nach Einigkeit gegen Hitlerdeutschland).
Einer Not folgend verlegte man sich während des Krieges auf die Produktion von Episodenfilmen. Viele wertvolle Mitarbeiter waren eingezogen worden, zudem brach der europäische Markt weg – das Studio sah sich aus personellen und finanziellen Gründen ausserstande, weiter Langfilme im Stil von Pinocchio zu produzieren. Ein Episodenfilm brachte den Vorteil, dass mehrere kleine Teams gleichzeitig an je einem Kurzfilm arbeiten konnten und der immense Koordinationsaufwand der Langfilme wegfiel. So konnte innert nützlicher Frist ein „neuer Disney“ in die Kinos gebracht werden.
Saludos Amigos verband seine vier „Shorts“ mehr schlecht als recht, indem man alle unter das gleiche Motto (Südamerika) stellte. Hüben wie drüben hatte der Film Erfolg, und so beschloss man, nachdem sich die Arbeitssituation im folgenden Jahr noch nicht verbessert hatte, mit Three Caballeros nochmals auf dasselbe Pferd zu setzen. Doch irgendwie geriet das Projekt aus der vorgegebenen Fassung; die Episoden begannen zu wuchern, es wurden viel mehr als vier und die Übergänge wurden so fliessend, dass das Etikett „Episodenfilm“ dem fertigen Film gar nicht mehr gerecht wird. 

Inhalt / Nach der Sichtung:
Three Caballeros
beginnt mit einem riesigen Geschenk, das Donald Duck aus Südamerika erhält. Im Paket befindet sich ein Filmprojektor, der den Zuschauer mitnimmt ins amerikanische Nachbarland. Es folgen zwei Kurzfilmepisoden und man wähnt sich im gleichen Konzept, das bereits im Vorgängerfilm angewendet wurde. Doch dann wird einem buchstäblich der Boden unter den Füssen weggezogen. Mit dem Auftauchen des brasilianischen Papageis José Carioca, der bereits in Saludos Amigos einen denkwürdigen Auftritt hatte, kippt der Film in den Surrealismus, der für die restliche Filmdauer mit überraschender Konsequenz durchgehalten wird. Da wird ein animationstechnisches Feuerwerk abgebrannt, das es in dieser psychedelischen Abgefahrenheit bei Disney vorher und nachher nie mehr gab – der Folgefilm Alice in Wonderland und der sich „seriöser“ gebende Fantasia kommen dem noch am nächsten, doch dort scheint der Irrsinn immer nur partiell und in eher abgemilderter Form auf.
In Three Caballeros vervielfältigt sich eine Figuren plötzlich zu einem aus ihr selbst bestehenden Chor, um sich gleich darauf zu einer riesenhaften Ausgabe seiner selbst wieder zu vereinen, da geraten Charaktere in die Tonspur, werden von ihr „eingesogen“, grotesk deformiert und wieder ausgespuckt, da rast die verliebte Zeichentrickente Donald wie ein Verrückter an der Copacabana hinter real gefilmten Mädchen her, die ob seiner Liebestollheit kreischend die Flucht ergreifen, Züge rasen in irrem Tempo über absurd geführte Schienenstränge, die ein verrückter Vogel vorneweg in die Landschaft malt, die realen Schattenrisse tanzender Männer verwandeln sich in jene kämpfender Zeichentrick-Hähne, und immer wieder tauchen Real-Life-Schauspielerinnen auf (u.a. die bezaubernde Aurora Miranda, Schwester der bekannten gleichnamigen Carmen), die von einem weibstollen Donald durch die surrealen Dekors gejagt werden, bis auch letztere nicht mehr bleiben, was sie waren und anfangen, in immer wilderem Reigen zu mutieren. Das alles verbindet sich nach den beiden noch recht konventionellen Anfangsepisoden zu einem visuellen Wahnsinnstrip, wie er im Populärfilm selten oder gar nicht zu sehen ist. Three Caballeros, das ist „Disney auf Drogen“. Kaum zu glauben, aber wahr.
Die visuelle Fantasie, die hier aufgewendet und von „Uncle Walt“ zugelassen wurde, scheint grenzenlos, und so ist Three Caballeros vor allem ein Fest fürs Auge, das von exzellenten Ohrwürmern aus der Feder des mexikanischen Komponisten Manuel Esperon angeheizt wird. Ward Kimball, einer der Chefzeichner des Disney-Studios, gab zu Protokoll, dass Three Caballeros der einzige Film sei, mit dessen Ergebnis er vollkommen zufrieden sei.

Ein Unikum im Werk des globalen Märchenonkels; es erstaunt nicht, dass Three Caballeros die wahrscheinlich am wenigsten populäre Trickfilmschöpfung Walt Disneys ist. Er wurde als einziger Disney-Film nach seiner Uraufführung später nicht mehr als Re-Edition in den Kinos gezeigt.
Gleichzeitig ist der Film aber ein eindrückliches Zeugnis – das letzte – für Disneys ursprüngliche Experimentierlust, die nach vielversprechenden Anfängen (von der Silly Symphony-Serie über den ersten langen Animationsfilm Snow Withe und den singulären Fantasia bis zu den Three Caballeros) nach dem Misserfolg der beiden letztgenannten endgültig dem Hang zur Popularisierung gewichen ist.

Den Film gibt's auf DVD oder bei Disney+ zu sehen.




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