USA 1944
Originaltitel: The Three Caballeros
USA 1943
Mit Aurora Miranda, Carmen Molina, u.a.
Regie: Norman Ferguson (Gesamtleitung), Clyde Geroninmi, Jack Kinney, Bill Roberts und Harold Young
Produktion: Walt Disney
Vor der Sichtung:
Über die meisten Filme Walt Disneys wurde schon genug gesagt und geschrieben. Ausser über Three Caballeros, den ich als Disneys unterschätztes Meisterwerk bezeichnen möchte (im Gegensatz zu Fantasia, der den semi-offiziellen Titel „Disneys anerkanntes Meisterwerk“ trägt).
Tatsächlich sticht Three Caballeros bereits auf den ersten
Blick aus dem Gros von „Uncle Walts“ familientauglichen animierten
Abendfüllern heraus: Durch seine Aufmachung, seinen Inhalt, sein Artwork
und seinen sexuellen Unterton.
Wir haben es hier mit einem Epiosodenfilm zu tun, dem zweiten aus
Disneys Schaffensbereich, der sich mit den „südamerikanischen Freunden“ befasst. Bereits ein Jahr zuvor entstand der ähnlich gelagerte Saludos Amigos,
quasi als Nebenprodukt einer politisch motivierten „Good
Neighbours“-Tour des Studiochefs und einiger Mitarbeiter nach
Südamerika (man suchte nach Einigkeit gegen Hitlerdeutschland).
Einer Not folgend verlegte man sich während des Krieges auf die
Produktion von Episodenfilmen. Viele wertvolle Mitarbeiter waren
eingezogen worden, zudem brach der europäische Markt weg – das Studio
sah sich aus personellen und finanziellen Gründen ausserstande, weiter
Langfilme im Stil von Pinocchio zu produzieren. Ein Episodenfilm brachte den Vorteil, dass mehrere kleine Teams gleichzeitig
an je einem Kurzfilm arbeiten konnten und der immense
Koordinationsaufwand der Langfilme wegfiel. So konnte innert nützlicher
Frist ein „neuer Disney“ in die Kinos gebracht werden.
Saludos Amigos verband seine vier „Shorts“ mehr schlecht als
recht, indem man alle unter das gleiche Motto (Südamerika) stellte.
Hüben wie drüben hatte der Film Erfolg, und so beschloss man, nachdem
sich die Arbeitssituation im folgenden Jahr noch nicht verbessert hatte,
mit Three Caballeros nochmals auf dasselbe Pferd zu setzen. Doch
irgendwie geriet das Projekt aus der vorgegebenen Fassung; die Episoden
begannen zu wuchern, es wurden viel mehr als vier und die Übergänge
wurden so fliessend, dass das Etikett „Episodenfilm“ dem fertigen Film
gar nicht mehr gerecht wird.
Inhalt / Nach der Sichtung:
Three Caballeros beginnt mit einem riesigen Geschenk, das
Donald Duck aus Südamerika erhält. Im Paket befindet sich ein
Filmprojektor, der den Zuschauer mitnimmt ins amerikanische Nachbarland.
Es folgen zwei Kurzfilmepisoden und man wähnt sich im gleichen Konzept,
das bereits im Vorgängerfilm angewendet wurde. Doch dann wird einem
buchstäblich der Boden unter den Füssen weggezogen. Mit dem Auftauchen
des brasilianischen Papageis José Carioca, der bereits in Saludos Amigos
einen denkwürdigen Auftritt hatte, kippt der Film in den Surrealismus,
der für die restliche Filmdauer mit überraschender Konsequenz
durchgehalten wird. Da wird ein animationstechnisches Feuerwerk
abgebrannt, das es in dieser psychedelischen Abgefahrenheit bei Disney
vorher und nachher nie mehr gab – der Folgefilm Alice in Wonderland und der sich „seriöser“ gebende Fantasia kommen dem noch am nächsten, doch dort scheint der Irrsinn immer nur partiell und in eher abgemilderter Form auf.
In Three Caballeros vervielfältigt sich eine Figuren
plötzlich zu einem aus ihr selbst bestehenden Chor, um sich gleich
darauf zu einer riesenhaften Ausgabe seiner selbst wieder zu vereinen,
da geraten Charaktere in die Tonspur, werden von ihr „eingesogen“,
grotesk deformiert und wieder ausgespuckt, da rast die verliebte
Zeichentrickente Donald wie ein Verrückter an der Copacabana hinter real gefilmten Mädchen her, die ob seiner Liebestollheit kreischend die Flucht
ergreifen, Züge rasen in irrem Tempo über absurd geführte
Schienenstränge, die ein verrückter Vogel vorneweg in die Landschaft
malt, die realen Schattenrisse tanzender Männer verwandeln sich in jene
kämpfender Zeichentrick-Hähne, und immer wieder tauchen
Real-Life-Schauspielerinnen auf (u.a. die bezaubernde Aurora Miranda,
Schwester der bekannten gleichnamigen Carmen), die von einem weibstollen
Donald durch die surrealen Dekors gejagt werden, bis auch letztere
nicht mehr bleiben, was sie waren und anfangen, in immer wilderem Reigen
zu mutieren. Das alles verbindet sich nach den beiden noch recht
konventionellen Anfangsepisoden zu einem visuellen Wahnsinnstrip, wie er
im Populärfilm selten oder gar nicht zu sehen ist. Three Caballeros, das ist „Disney auf Drogen“. Kaum zu glauben, aber wahr.
Die visuelle Fantasie, die hier aufgewendet und von „Uncle Walt“ zugelassen wurde, scheint grenzenlos, und so ist Three Caballeros
vor allem ein Fest fürs Auge, das von exzellenten Ohrwürmern aus der
Feder des mexikanischen Komponisten Manuel Esperon angeheizt wird. Ward
Kimball, einer der Chefzeichner des Disney-Studios, gab zu Protokoll,
dass Three Caballeros der einzige Film sei, mit dessen Ergebnis er vollkommen zufrieden sei.
Ein Unikum im Werk des globalen Märchenonkels; es erstaunt nicht, dass Three Caballeros
die wahrscheinlich am wenigsten populäre Trickfilmschöpfung Walt
Disneys ist. Er wurde als einziger Disney-Film nach seiner Uraufführung
später nicht mehr als Re-Edition in den Kinos gezeigt.
Gleichzeitig ist der Film aber ein eindrückliches Zeugnis – das letzte –
für Disneys ursprüngliche Experimentierlust, die nach
vielversprechenden Anfängen (von der Silly Symphony-Serie über den ersten langen Animationsfilm Snow Withe und den singulären Fantasia bis zu den Three Caballeros) nach dem Misserfolg der beiden letztgenannten endgültig dem Hang zur Popularisierung gewichen ist.
Den Film gibt's auf DVD oder bei Disney+ zu sehen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen