Donnerstag, 25. Juni 2020

Sehnsucht ohne Ende (Forbidden, 1932)


Forbidden (dt.: Sehnsucht ohne Ende, 1932)
Mit Barbara Stanwyck, Adolphe Menjou, Ralph Bellamy, Dorothy Peterson, Thomas Jefferson u.a.
Drehbuch: Jo Swerling nach einer Story von Frank Capra
Regie: Frank Capra
Kamera: Joseph Walker
Genre: Romanze, Drama

Studio: Columbia
Kino/TV-Auswertung im deutschsprachigen Raum: nicht bekannt
Dauer: 88 min

Farbe: schwarzweiss


Die Kleinstadtjournalistin Lulu Smith (Barabara Stanwyck) droht in dem Kaff, in dem sie aufgewachsen ist, zu versauern. Eines Tages holt sie all ihre Erspranisse von der Bank und begibt sich auf Kreuzfahrt, resp. Männersuche. Und prompt trifft sie auf den charmanten Bob (Adolphe Menjou), mit dem sie eine wunderbare Zeit erlebt; beide verlieben sich und sehen sich nach der Reise weiter. Lulu richtet sich in seiner Nähe ein neues Leben ein und nimmt in der Grossstadt eine Stelle bei einer Zeitung an.
Eines Tages gesteht Bob ihr, dass er verheiratet sei - mit einer invaliden Frau. Er will die Romanze aber weiterführen, und Lulu hält zu ihm.
Dies ist die erste von mehreren Erniedrigungen, welche unsere Heldin von ihrem Lover erdulden muss; und sie tut es - aus lauter Liebe und Ergebenheit. Für das Werben ihres langjährigen Freundes Al (Ralph Bellamy) hingegen hat sie kein Gehör...

Von der Komödie zum Melodram
Dieser kaum bekannte Film aus Frank Capras Frühzeit ist ein seltsames Konstrukt. Er beginnt wie eine typische Capra-Komödie mit ulkigen Nebenfiguren, komischen Situationen und rasantem Wortwitz-Ping-Pong. Die Geschichte entwickelt sich mittels wunderbaren erzählerischen Kniffen rasch und schnörkellos. Die romantischen Szenen zwischen Stanwyck und Menjou sind gleichzeitig herzig, albern und rüde - damit stand Capra total quer zu den damals üblichen, noch vom Stummfilm abstammenden schwülstigen und

pathosgetränkten cinèastischen Liebesschwüren.
Doch schade: Kaum hat man sich's wohlig im Komödienmodus eingerichtet, schlägt der Ton unvermittelt um: Lulu kriegt ein Kind von Bob; dieser will das Baby adoptieren (für ihn werbewirksam, da er als Gouverneur kandidiert); Lulu soll als Kindermädchen getarnt bei ihm und seiner Frau einziehen.

Ab hier wird der Ton melodramatisch, Lulu opfert sich für ihr Kind und für Bob, der sie immer schäbiger behandelt, sie aber in einem Winkel seines verdreben Herzens wirklich zu lieben scheint. 

Für uns wird es schwierig, dem Film ab hier zu folgen. Als auf emanzipierte Frauenfiguren konditionierte Kinogänger fällt es uns Heutigen schwer, solch immense Opferbereitschaft einem Mann gegenüber zu goutieren - und dann auch noch von der Stanwyck, die später zur Ikone der starken, unabhängigen Frau im Film wurde (Forty Guns, 1957). Die Stanwyck macht in Capras Film durchaus glaubhaft, dass sie bis zum Liebestod gehen würde, ulkigerweise nimmt man ihr dies rückwirkend nicht mehr ab; mit all den starken Frauenfiguren im Hinterkopf, welche die Stanwyck nach diesem Film verkörpert hat, kommt einem diese liebeskranke Lulu Smith schräg und unglaubwürdig vor.
1932 glaubte man ihr die Rolle, weil sie von der Stanwyck verkörpert wurde - 2020 nimmt man sie ihr nicht mehr ab - weil sie von der Stanwyck verkörpert wurde. Sowas kann passieren, wenn man sein Leben lang im Filmbusiness ist.


Eine feste Grösse im Hollywoodkino
Ausser der Stanwyck und Bette Davis kommen mir keine anderen Schauspielerinnen in den Sinn, von der man, je nach Film, der gerade läuft, sagen kann: "Schon damals hatte die Filme gemacht?" oder: "Zu dieser Zeit hatte die immer noch Filme gemacht?"
Das Besondere an diesen beiden äusserst vielseitigen Schauspielerinnen ist, dass sie von Anfang bis Ende der grossen Aera von Hollywoods Tonfilmzeit stets in vorderster Reihe mit dabei waren (die Davis sogar länger).
Andere berühmte Aktricen wie die Garbo, die Bergman, die Monroe tauchten entweder erst viel später auf oder waren viel früher wieder weg. Barbara Stanwyck ist so etwas wie eine weibliche Konstante im klassischen Hollywoodfilm. Von 1929 bis 1964, vom Aufstieg bis zum Fall der grossen Studios war sie - jedenfalls bis 1957 - ohne Unterbruch auf der grossen Leinwand präsent; ab 1957 wandte sie sich vermehrt dem Fernsehen zu, wo sie ab 1964 eine zweite Karriere mit Serien wie Zane Grey Theater (dt.: Abenteuer im Wilden Westen) und Big Valley verfolgte. Im Kino war ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zu sehen.

Ein Blick auf den Werbeslogan des Forbidden-Filmplakats ("Her Greatest Dramatic Role!") verbunden mit dem prominent darauf abgebildeten Portrait der Stanwyck und ihrem Namen gross über jenem des damals seit Jahren prominenten Adolphe Menjou weist darauf hin, dass sie bereits 1932 beträchtlichen Starruhm genoss - und Forbidden war erst ihr zehnter Film! 

Zeitungsannonce für den Film
Der Production Code und die Wirklichkeit
Dass in einem alten Hollywoodfilm eine Frau vorkommt, die 
eine Beziehung zu einem verheirateten Mann unterhält, ist noch nichts wirklich Ungewöhnliches; dass sie als Heldin im Zentrum steht, schon eher; der Umstand aber, dass sie in einer unehelichen Beziehung schwanger wird, erscheint geradzu skandalös. Wer den klassischen Hollywood-Film der späten Dreissiger und frühen Vierzigerjahre kennt, dem ist garantiert noch nie so etwas unmoralisches untergekommen. Doch 1932, als Forbidden produziert wurde, war es noch möglich. 
Bereits zwei Jahre später wäre diese Wendung der Schere der Zensoren zum Opfer gefallen, welche die Filmmetropole nach Installierung des sogenannten Hays-Codes heimsuchten. 
Der Hays-Code (eigentlich "Production Code" genannt) war ein Katalog von Richtlinien, der zunächst auf freiwilliger Basis, die Filmproduzenten zu moralischer Sauberkeit aufforderte. Ab 1934 hatte sich jedes Studio daran zu halten. 
Im Grunde war der Code die pure Heuchelei, denn hinter der Fassade Hollywoods ging es natürlich weiterhin so frivol zu wie vor dem Code. Auch hinter den Kulissen von Forbidden spielte sich Ungehöriges ab, unterhielt doch die (verheiratete) Stanwyck eine Affäre mit ihrem Regisseur - was offenbar regelmässige argwöhnische Besuche ihres streitsüchtigen Ehemannes am Set zur Folge hatte.
Wie lange das Techtelmechtel lief, kann man anhand der Kolaboration der beiden erahnen: Stanwyck und Capra drehten in den frühen Dreissigerjahren mehrere Filme in Folge miteinander. 


Capras Können
Zum Glück glänzt der mit zunehmender Filmdauer immer mehr in Trübsal versinkende Forbidden konstant mit grandiosen Regieeinfällen und cinématographischer Raffinesse. Damit bewahrt Capra seine Soap-Opera davor, ins Lächerliche zu kippen - oder macht das Kippen zumindest ertäglich. Es finden sich zahlreiche Hinweise darauf, dass da ein erfahrener, künstlerisch hoch begabter Regisseur am Werk ist. So besticht er immer wieder durch die Ökonomie der filmischen Erzählung, schafft mit wenigen Mitteln schöne, wunderbar
Während dem Dreh (in der Mitte: Frank Capra)
elegante Szenenübergänge, die den Erzählfluss vorantreiben ohne in die im frühen Tonfilm häufige Geschwätzig zu verfallen.
Es steckt schon viel vom reifen Capra drin und dies zu entdecken, ist das eigentliche Plus des Films. Dies, die Chemie zwischen Stanwyck und Menjou und die grandiose erste halbe Stunde machen Forbidden sehenswert.


Von dem Film existiert zwar ein - ausgesucht schwülstiger - deutscher Titel (Sehnsucht ohne Ende), doch lässt sich ein Premieren- resp. Ausstrahlungstermin für den deutschsprachigen Raum seltsamerweise nirgends eruieren. Entweder wurde zur Zeit des Filmstarts eine Veröffentlichung in Deutschland nur geplant, aber nicht durchgeführt oder es gab einen Start, dessen Datum im Lauf der Zeiten verloren gegangen ist.

Forbidden findet sich in der DVD-Box Frank Capra: The Early Collection von TCM, zusammen mit weiteren Frühwerken des Meisters - die Box ist eine wahre Fundgrube für Capra-Interessierte. Unnötig, zu sagen, dass Forbidden hierzulande mangels breitem Interesse weder auf Blu-ray noch auf DVD noch im Stream existent ist.

Michael Scheck

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