Dienstag, 14. Juli 2020

Nimm, was du kriegen kannst (Come and Get It, 1936)



Come and Get It (dt.: Nimm, was du kriegen kannst, 1936) 
Mit Edward Arnold, Frances Farmer, Walter Brennan, Joel McCrea, Mary Nash, Mady Christians, Andrea Leeds u.a.
Drehbuch: Jane Murfin und Jules Furthman nach dem Roman von Edna Ferber
Regie: Howard Hawks und William Wyler

Kamera: Rudolph Mathé und Gregg Toland
Musik: Alfred Newman
Genre: Drama

Studio: The Samuel Goldman Company
Kino/TV-Auswertung im deutschsprachigen Raum: Februar 1978
Dauer: 99 min

Farbe: s/w


Ein Film aus dem amerikanischen Holzfäller-Milieu von 1884 - wie kann sowas heute noch interessant sein?

Barney Glasgow (Edward Arnold) ist Chef einer Holzfäller-Truppe, die über die Wälder Nord-Wisconsins herfällt wie die Termiten: Alles wird abgeholzt, an Wiederaufforstung denkt damals niemand. Barney verliebt sich unsterblich in die Saloon-Dame Lotta (Frances Farmer), heiratet aber aus Karrieregründen die Tochter eines reichen Holzbarons, dessen Firma er dann wie geplant übernehmen kann.
Lotta heiratet Barneys Compagnon Swan Bostrom (Walter Brennan), stirbt aber ein paar Jahre nach der Hochzeit.
Jahre später folgt Barney einer Einladung seines alten Kumpels Swan, reist in den Norden, ihn zu besuchen, und stellt fest, dass dessen Tochter das Ebenbild seiner alten Flamme ist. Sofort ist es um den alten Haudegen geschehen, was er die anderen aber nicht merken lässt. Statt dessen lädt er Swan, dessen Schwester und Tocher ein, in seiner Nähe ein neues Quartier zu beziehen - unter dem Vorwand, Swans Tochter eine gute Ausbildung in Chicago ermöglichen zu wollen. Als diese sich in Barneys Sohn Richard (Joel McCrea) verliebt, bahnt sich ein Familiendrama an...


Die eingangs gestellten Frage kann getrost mit "ja" beantwortet werden. Mit den richtigen Leuten vor und hinter der Kamera könnte man wahrscheinlich auch aus einem Einkaufszettel einen interessanten Film machen.
Die "richtigen Leute" bei diesem Projekt waren: Jules Furthman und Jane Murfin; sie destillierten aus dem ein Jahr zuvor erschienen Bestseller von Edna Ferber (die selbst auch Drehbücher schrieb) eine packende, mit Witz und Spannung garnierte Film-Erzählung. Es waren - auf dem Regiestuhl - die zwei Regie-Giganten Howard Hawks und William Wyler; Hawks überliess seinen Platz nach zwei Dritteln der Dreharbeiten dem Kollegen Wyler. 


Zwei der Top-Kameramänner jener Zeit, Rudolph Mathé und Gregg Toland fassten das Ganze in herrliche Bilder von grosser Tiefenschärfe.
Und sämtliche Ausführenden vor der Kamera; sie sorgten ausnahmslos für packende, überzeugende schauspielerische Leistungen.
Wem das nicht reicht, dem ist auch nicht zu helfen...!


Trotzdem all der grossen Qualitäten kommt man nicht umhin, sich im Verlauf des Films über die Richtung zu wundern, welche Handlung einschlägt. Worauf Come and Get It eigentlich hinaus will, entzieht sich einem bis kurz vor Schluss, wo er praktisch mit der letzten Einstellung doch noch die Kurve kriegt. Der Film dreht sich mehrheitlich um das verpasste Leben eines Erfolgssüchtigen und um die Tragik des Älterwerdens.
Der Grund für dies lang andauerende Richtungslosigkeit des Films ist in einem Konflikt begründet, der während der Dreharbeiten zwischen Studioboss Samuel Goldwyn und Howard Hawks entbrannte.
Goldwyn musste dem Studio wegen zwei Operationen eine geraume Zeit fern bleiben. In dieser Zeit liess Hawks das Drehbuch völlig umschreiben (ursprünglich war der zentrale Konflikt darin der Raubbau an den Wäldern), überschritt das Budget und engagierte den spindeldürren Walter Brennan für die Rolle des schwedischen Holzfällers Swan, der im Roman ein wahrer Hüne ist.
Goldwyn war geschockt, als er nach seiner Rückkehr entdeckte, was aus dem Film geworden war, und feuerte Hawks, als dieser sich weigerte, Änderungen vorzunehmen. Zu retten war nun nicht mehr viel, der Film musste auf den Markt.


William Wyler, der zu jener Zeit gerade das Drama Dodsworth fertigstellte, war sich zu schade, etwas zu beenden, was ein anderer angefangen hatte, doch Goldwyn drohte ihm mit Entlassung. In zwei Wochen beendete Perfektionist Wyler den Film; weil er nicht die Kontrolle über das ganze Werk gehabt hatte, wollte er seinen Namen nicht damit in Verbindung gebracht sehen. Er betrachtete Come and Get It auch nie als Teil seiner Filmografie.
Die Autorin der Vorlage war übrigens ganz angetan von dem Umstand, dass aus dem Chaos der Produktion etwas Neues aus ihrem Roman entstanden war.

Und wie bereits erwähnt, kann der Film sich sehen lassen. Unvergesslich bleiben die drei grandiosen Hauptdarsteller, sie helfen einen mit ihren hervorragenden Leistungen über die unentschlossenheit der Handlung hinweg und halten einen die ganze Zeit über bei der Stange. Edward Arnold, unvergessen als Nebendarsteller der besten Capra-Filme (Lebenskünstler, John Doe, Mr Smith geht nach Washington), spielte in den Dreissigerjahren einige Hauptrollen, bevor er sich auf prägnante Nebencharaktere festlegte. Arnold hatte eine starke Ausstrahlung und konnte einen Film mühelos tragen. Frances Farmer, deren Karriere später eine tragische Wendung nahm, verblüfft in der Doppelrolle als Mutter und Tochter mit einer Wandlungsfähigkeit, die man in Frauenrollen jener Zeit selten zu sehen bekam. Und Walter Brennan als schwedischer Holzfäller gelang hier eine der denkwürdigsten Leistungen seiner langen Karriere. Wie er den Alterungsprozess seiner Figur mit schauspielerischen Mitteln glaubhaft macht, ist bemerkenswert. Darüber hinaus sorgt er mit seiner kauzigen Art immer wieder für komische Momente. Brennan erhielt für diese Rolle anlässlich der 9. Oscarverleihung 1937 den ersten Academy Award, der für den besten Nebendarsteller vergeben wurde.
Nach diesem Oscar rutsche Brennans Name auf den Filmwerbeplakaten nach oben; hier wurde er noch (auf beiden abgebildeten Plakaten) an fünfter Stelle genannt, obwohl er deutlich mehr zu tun hat als Joel McCrea oder Mady Christians, die beide vor ihm aufgelistet sind. Brennan wurde im Lauf der Jahre zu einem der bekanntesten, beliebtesten und besten Charakterdarsteller Hollywoods.


Come and Get It gibt es bei uns weder auf Blu-ray noch auf DVD. Er ist aber als DVD der "Warner Archive Collection" (USA, REC0) erschienen.


Michael Scheck

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