Frankreich 1956
Deutscher Titel: Ein zum Tode Verurteilter ist entflohen
Originaltitel: Un condamné à mort s'est échappé ou Le vent souffle où il veut
Mit: François Leterrier, Charles La Clainche, Maurice Beerblock, Roland Monod, u.a.
Regie und Drehbuch: Robert Bresson
Mit der aktuellen Seh-Empfehlung widerspreche ich erstmals meinem Blogtitel Filmklassiker aus Hollywood - denn der Film stammt aus Frankreich.
Egal. Wir wollen hier nicht dogmatisch sein; was für gut befunden wurde, darf nicht untern Teppich gewischt werden - zudem tut eine Öffnung immer gut, sonst gerät man plötzlich in die Gefilde der Ideologie. Diese lautete bislang: Englischsprachige Filme pflegen gekonnt das filmische Erzählen, europäische Filme sträuben sich dagegen; sie verbreiten lieber Ideen, Philosophien, Weltbilder und stellen damit ihre Macher ins Zentrum.
Nun, ein guter Teil tut natürlich genau das, und das interessiert mich nicht. Doch es gibt auch viele Ausnahmen. Robert Bressons meisterhafter Un condamné à mort s'est échappé ist eine davon.
Er erzählt von Lieutenant Fontaine (François Leterrier), der von den Nazis inhaftiert und später zum Tod verurteilt wird. Das Gefängnis, in welches er mit mehreren weiteren Männern gesperrt wurde, wird nicht sonderlich streng überwacht, und so heckt Fontaine in der Enge seiner Zelle einen Fluchtplan aus, den er mittels winziger, langsamer Schritte in Tat umsetzt. Damit verhilft er seinem Geist zu reger Tätigkeit, was ihn trotz der Enge und Einsamkeit bei geistiger Gesundheit erhält und beflügelt - am Ende wird er sein Gefängnis damit hinter sich lassen.
Bressons Film ist gänzlich unprätentiös, nüchtern und in der Verwendung der Mittel geradezu minimalistisch. Es werden keinerlei Gräuel gezeigt, das ist gar nicht nötig. Bresson reicht es, die Enge zu inszenieren und ihr die Weite des menschlichen Geistes gegenüberzustellen. Dazu erklingen an passenden Stelle Auschnitte des "Kyrie" aus Mozarts Requiem - "Herr, erbarme Dich" - und zwar immer dann, wenn die Mitgefangenen ins Bild kommen. Erbarme Dich ihrer, scheint der Film zu sagen, die nicht die Kraft und Grösse besitzen, sich im Geiste gegen die Unterdrückung zu wehren. Und damit hat der Film infinite Gültigkeit.
Am Ende ist Fontaine frei - und wieder erklingt das "Kyrie". Erbarme Dich den Zurückbleibenden (denn sobald der Ausbruch entdeckt wird, werden im Gefängnis garantiert andere Saiten aufgezogen).
Un condamné à mort s'est échappé erzählt in knappen, kurzen Sequenzen, die mittels Aus- und Einblenden voneinander getrennt werden. Er erzählt, spannend, Anteil erweckend und auf zutiefst menschliche Art und Weise. Ein Film, der ganz einfach und fast sachlich an die menschliche Kraft zum Widerstand appeliert - und gerade durch seine Sachlichkeit und Bescheidenheit tief beeindruckt.
Bedauerlicherweise ist dieses stille Meisterwerk hierzuland weder auf Blu-ray noch auf DVD erschienen, und auch online ist er nirgends auszumachen - ein peinlicher Missstand, den es schleunigst nachzuholen gälte!
Es gibt eine Blu-ray und eine DVD von Artificial Eye aus England, die den wortkargen Film mit englischer Untertitelung anbieten. Wer englisch kann, sollte hier zugreifen (RC2). Auch eine französische Blu-ray und eine DVD (von Gaumont) sind erhätlich, für Leute, die des Französischen nicht mächtig sind, ebenfalls mit englischen Untertiteln. Alle Versionen sind über amazon bestellbar.
Alle geschauten Filme der letzten Tage...
1. Cassandra Crossing / Treffpunkt Todesbrücke (The Cassandra Crossing, 1976)
2. Ein zum Tode Verurteilter ist entflohen (Un condamné à mort s'est échappé ou Le vent souffle où il veut, 1956)
3. Hatari! (1962)
4. Holiday (1930)
...und deren kurze Besprechung:
Cassandra Crossing entstand während des grossen Katastrophenfilm-Hypes der Siebzigerjahre. Umständlich wird von zwei Terroristen erzählt, die in Genf während einer Verfolgungsjagd in ein Biolabor der Amerikaner geraten und sich dort mit einem tödlichen Virus infiszieren. Einer der beiden entkommt und rettet sich in einen Zug mit Destination Stockholm - ohne zu wissen, dass er Träger einer tödlichen, hoch ansteckenden Krankheit ist. Bis die Behörden ihn lokalisiert haben, ist es zu spät: Der Zug rast unaufhaltsam in Richtung Schweden und gleicht mehr und mehr einem Siechenhaus. Um ihn in ein ehemaliges verlassenes Konzentrationslager umzuleiten, muss er eine als unsicher geltende, baufällige, stillgelegt Brücke überqueren...
Was für ein unglaublicher Blödsinn. Als Schweizer hat man wohl besondere Mühe mit der Visionierung, denn ein guter Teil des Machwerks spielt in der Schweiz. Das beginnt damit, dass die Sequenzen, die im Bahnhof Genf spielen, sichtlich im unverwechselbaren Basler Bahnhof gedreht wurden. Als dann der Zug Genf verlässt, ist in einer Durchsage zu hören, der nächste Halt sei Basel! Und dann: Der bekannte US-Schauspieler Lionel Stander in der Uniform eines Schweizer "Konduktörs" - das geht gar nicht! Zumal er breitestes Amerikanisch quatscht. Auf Authentizität wurde damals weniger geachtet, und das bekommt dem kruden, holzschnittartigen Starvehikel schlecht. Er wirkt arg gestrig...
Robert Bressons Ein zum Tode Verurteilter ist entflohen wurde oben als Seh-Empfehlung bereits näher beschrieben.
Howard Hawks' Afrika-Abenteuer Hatari! zeigt einen sichtlich gealterten, aber gut gelaunten John Wayne in der Rolle eines Tierfängers - an der Seite von Elsa Matinelli, Hardy Krüger und Red Buttons. Ein im Grunde völlig belangloser Film, der trotz Überlänge gut unterhält und der gerade durch seine scheinbare Absichtslosigkeit, gepaart mit einer offenbar glänzend gelaunten Crew, einen unwiderstehlichen Charm entwickelt. Die in freier Wildbahn ohne Stunt-Doubles gedrehten Tierfang-Sequenzen sind aus heutiger Sicht - angesichts schwindender Wildbestände - allerdings schwer verdaulich.
George Cukors Komödienklassiker Holiday (1938) mit Cary Grant und Katharine Hepburn war ein Remake - eines gleichnamigen Films von 1930. Holiday des heute vergessenen Regisseurs Edward H. Griffith ist ein typischer Vertreter jener damals modischen Tonfilme, in denen, weil's so neu war, nur geredet wird. Komatös langweilig, weil sich die Handlungstänge im Schneckentempo, die Charaktere dagegen gar nicht entwickeln, dies zugunsten witzig gemeinter Dialoge, die aber dank blasser Schauspieler nicht zünden.
Michael Scheck
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