Den aktuellen Quoten-Trend im Kino - Frauenquoten, ethnische Quoten, Minderheiten-Quoten - finde ich in der Regel nicht nur kontraproduktiv sondern in höchstem Masse lächerlich. Da werden Dickens-Verfilmungen entgegen jeglicher historischer Erkenntnis mit Schauspielern aus aller Herren Länder besetzt oder Männerrollen willkürlich in Frauenrollen umgemünzt. All dies geschieht in den meisten Fällen nicht aufgrund künstlerischer Gesichtspunkte, sondern aus Gründen der politischen Korrektheit.
Ab und zu kommt allerdings ein Film, der beide Aspekte unter demselben Hut vereint. Ich war überrascht, denn ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass ich The Aeronauts wegen seiner historischen Verbiegungen nicht zu Ende gucken würde.
Die Geschichte dreht sich um den Meteorolgie-Pionier James Glaisher, der zwischen 1862 und 1866 zusammen mit dem Ballonfahrer Henry Coxwell zahlreiche wissenschaftliche Ballonfahrten unternommen hatte. Coxwell wurde aber vom Filmstudio einfach eliminiert und quotentauglich durch eine Frau ersetzt. Es gab zwar zu jener Zeit ballonfahrende Frauen, etwa Sophie Blanchard, nach deren Vorbild die für den Film erfundene Figur der Amelia Wren modelliert wurde.
The Aeronauts von Tom Harper (Drehbuch und Regie) und Jack Thorn (Co-Drehbuch) geht allerdings einen Schritt weiter, indem er das historische Gerüst mittels poetisch-fantastischer Elemente künstlerisch überhöht und die Verquickung von Wissenschaftlichkeit und Kunst gleich auch zu seinem heimlichen Haupt-Thema macht. Dass dies eine Hymne auf die Magie des Kinos dessen Erzähltraditionen ergibt, haben die einander abschreibenden Mainstream-Kritiker wieder mal nicht gemerkt - The Aeronauts wurde mehrheitlich verrissen, u.a. wegen mangelnder historischer Genauigkeit.
Ist man gewillt und in der Lage, etwas tiefer zu blicken, kommt man zur Erkenntnis, dass Tom Harpers Film ein cinèastisches Meisterstück ist. Zuzusehen, wie die beiden Hauptfiguren (gespielt von Felicity Jones und Eddie Redmayne), deren gemeinsame Szenen sich praktisch auf den engen Ballonkorb beschränken, sich im Lauf der Handlung in kleinsten Schritten aufeinander zu bewegen, ist nicht nur hoch spannend, sondern auch höchst gekonnt geschrieben und inszeniert. Für mich ein herausragender Kinostück, das sich keinem Genre zuordnen lässt und doch mit den gängigen Filmgenres von Fantasy über Action und Abenteuer bis zum Liebesdrama fast alles Revue passieren lässt, was das Kino von Anbeginn weg gross gemacht hat.
Im Zentrum von The Aeronauts steht ein Ballonflug, der in Echtzeit vorgeführt wird. James Glashier tat sich dafür mit der Schaustellerin und Ballonfahrerein Amelia Wren zusammen, um in luftigen Höhen seine von anderen Wissenschaftlern verlachten meteorologischen Studien durchführen zu können. Die Artistin und der Wissenschaftler sehen sich im Zug ihres Aufstiegs in schwindelnde Höhen mit den zahlreichen Schönheiten, aber auch mit den tödlichen Gefahren einer Natur konfrontiert, die sich die damaligen Menschen noch nicht erschlossen hatten. Beides wird zu intensiven Kinomomenten von hoher bildnerischer und emotionaler Kraft verdichtet.
Der Aufstieg wird an geeigneten Stellen immer wieder mit Rückblenden in die Vorgeschichte des Unternehmens unterbrochen, welche ausstatterisch und kostümtechnisch eine Augenweide bieten.
The Aeronauts ist nicht nur ein Film von aussergewöhnlicher Bildkraft, er vermag auch punkto Charakterzeichnung und Erzähltechnik vollends zu überzeugen.
Angesichts der vielen schlechten Rezensionen eine freudige Überraschung!
Den Film gibt es zur Zeit ausschliesslich im Stream (und da auch nur bei amazon) zu sehen.
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