Mittwoch, 4. November 2020

Meine Filmwoche (Kurzkritiken: Meer der Gefühle, Dialog, Long Riders, Le Mans)

Ein Meer der Gefühle (Passion Fish, 1992)
Der beste Film, den ich in dieser Woche gesehen habe, heisst Passion Fish und stammt vom heute leider in Vergessenheit geratenen Autorenfilmer John Sayles. Der kreuzdämliche deutsche Titel, Ein Meer der Gefühle, weckt Assoziationen an etwas, was Sayles Film meisterhaft vermeidet: Gefühlduseligkeit; Passion Fish ist alles andere als eine Schmonzette!
Im Zentrum steht May-Alice Culhane (Mary McDonnell), Star einer berühmten Soap-Opera, die nach einem Autounfall zur Paraplegikerin wird. May-Alice zieht sich in ihr Elternhaus in Louisiana zurück, beginnt zu trinken und verbringt ganze Nachmittage vor dem Fernseher. Bis die verschlossene junge afroamerikanische Pflegerin Chantelle (Alfre Woddard) bei ihr aufkreuzt und bei ihr einzieht. Langsam, Schrittchen für Schrittchen, öffnen die beiden Frauen sich der jeweils anderen gegenüber. Dabei wird deutlich, dass auch Chantelle ein schweres Schicksal zu tragen hat.
Passion Fish ist ein Film, der in jeder Nacherzählung wie eine Soap Opera klingt. Doch in John Sayles fähigen Händen wird das genaue Gegenteil daraus - ein erfrischendes, gänzlich unsentimentales Meisterstück, eine eindringliche Filmerzählung, die von den lebendig gezeicneten Charakteren vorangetrieben wird.
Ein hervorragendes Ensemble unterstützt ihn dabei - besonders die beiden Hauptdarstellerinnen glänzen mit ihren intensiven Darstellungen der sperrigen Hauptfiguren.
Passion Fish ist mit Abstand der beste Film, den ich diese Woche sehen konnte, ein vergessenes Meisterstück, das ich allen wärmstens empfehle, welche offen für sensible Charakterstudien sind.
Bei uns auf DVD erschienen, und auch online kann er bei einigen Anbietern geschaut werden.


Ferner liefen...

Der Dialog (The Conversation, 1974): The Conversation ist der berühmteste Film, den ich diese Woche geschaut habe, ein ausgefeiltes Werk mit einem hervorragenden Drehbuch und guter Regie, beides von Francis Ford Coppola. Er will aufzeigen, wie die Verbreitung der elektronischen Kommunikationsmittel das Recht eines jeden Menschen auf Privatsphäre untergräbt.
Coppola erzählt die Geschichte des Überwachungsexperten Harry Caul (Gene Hackman), einer der besten seines Fachs. Um seinen Standpunkt zu verdeutlichen, erfindet Coppola ein Worst-Case-Szenario, das mir für eine alltägliche Überwachungsgeschichte doch recht übertrieben erscheint, da Harrys ausgefeilte Überwachung zu einem brutalen Mord führt.
Einige Teile des Films sind recht nebulös, Coppola lässt sein Publikum immer mal wieder im Dunkeln tappen. Das ist beabsichtigt, und es erscheint logisch im Zusammenhang mit dem, was Coppola anstrebt, aber genau damit hat mich The Conversation abgehängt. Außerdem baut die Hauptfigur, die so völlig zurückhaltend ist, eine Distanz zwischen Publikum und Film auf, die zu einem weiteren Interesseverlust seitens der Zuschauer führen kann.
The Conversation will die Entfremdung des Menschen durch die Mittel der modernen Technik zeigen. Coppola übersetzt dieses Gefühl so gekonnt auf die Leinwand, dass ich mich komplett von seinen Figuren und seiner Geschichte entfremdet gefühlt habe. Man muss ihm also eigentlich attestieren, dass The Conversation rundum gelungen ist - der Schuss aber nach hinten losgeht: Ich mochte den Film in seiner düsteren Distanziertheit nicht und werde ihn mir bestimmt kein weiteres Mal ansehen.

Long Riders
(The Long Riders, 1980) Dieser Neo-Western ist ungewöhnlich: Die darin portraitierten Banditen (die Brüder James, Younger, Miller und Ford) werden alle von echten Brüdern gespielt: David, Keith und Robert Carradine, Stacey und James Keach, Randy und Dennis Quaid, Christopher und Nicholas Guest.
Die ersten 20 Minuten sind echt interessant, weil man versucht, die Ähnlichkeiten in den Gesichtern der Brüder zu finden (ich fand viele bei den Keaches und den Guests, aber fast keine bei den Carradines und den Quaids).
Nachdem das geklärt ist, gibt The Long Riders (Regie: Walter Hill) nur noch wenig Interessantes her. Es gibt einfach zu viele Hauptfiguren (sieben!), und der Film kann sich nicht entscheiden, auf welche er sich konzentrieren soll. Dies war wohl das Hauptproblem, mit dem die Autoren zu kämpfen hatten, denn keiner der vielen Brüder ist voll entwickelt; der Film hakt einen Handlungspunkt nach dem anderen ab, was ziemlich langweilig wird, weil er sich nicht auf die Charaktere einlässt...

Le Mans (1971) Lee H. Katzins Film begleitet mehrere Autorennteams durch das 24-Stunden-Rennen von Le Mans, zudem erlaubt er mittels dokumentarischem Filmmaterial einen Blick hinter die Kulissen. Dabei sind die Dokumentar- und die Spielfilmsequenzen so geschickt ineinander verwoben, dass der ganze Film einen realistischen Anstrich bekommt. Die Dokumentar-Teile sind das Interessanteste am Film.
Der Rest besteht aus langgezogenen Rennsequenzen, welche für Fans von Autorennen spannend sein mögen, für den Rest der Welt aber von tödlicher Langeweile. Die eingefügten fiktiven Charaktere sind weder interessant noch gut gespielt – sie sind flach und wirken wie ein Vorwand, ein Autorennen aus ungewohnten Blickwinkeln zeigen zu können.
Meine Hoffnung, nach der Sichtung zu verstehen, was an stundenlang im Kreis herumrasenden Autos faszinierend sein soll, hat Le Mans nicht erfüllt.


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