Samstag, 9. Juli 2022

City of Joy (Stadt der Freude, 1992)

 
 

Frankreich/UK 1992
Regie: Roland Joffé

Drehbuch: Mark Medoff

Mit Patrick Swayze, Om Puri, Pauline Collins, Shabana Azmi, Art Malik u.a.
Dauer: 2h 12min

Calcutta - ein aus allen Nähten platzender Moloch von einer Stadt.
Ein gescheiterter amerikanischer Arzt, den es aufgrund der Selbstfindung dorthin verschlägt.
Ein armer Landbewohner, der mit seiner Familie in die Stadt zieht, um Arbeit zu finden.

Die grosse Stadt, der Arzt (Patrick Swayze), der Bauer (Om Puri) - das sind die drei Hauptpotagonisten dieses Films; die Stadt wird in Roland Joffés Schilderung derart lebendig gezeichnet, dass man sie getrost zu den Protagonisten zählen darf.
Die beiden menschlichen Hauptfiguren treffen in der "City of Joy" aufeinander, einem Armenviertel Calcuttas, wo beide, ganz unten, inmitten von Armut und Not wichtige Lektionen fürs Leben lernen.

Patrick Swayze als amerikanischer Arzt fungiert als Identifikationsfigur, durch die wir Westler Zugang in die fremde Welt der Indischen Grossstadt und Kultur finden - das hat seine Berechtigung, denn der Film wurde ja auf ein westliches Publikum zugeschnitten und man wollte die Zuschauer abholen, sollte der Film nicht vor leeren Kinosäälen abgespielt werden (was dann trotzdem der Fall war).
Die Zustände in der "City of Joy" werden eindrücklich und ungeschönt dargestellt - entsprechend wurde der Produktion von Seiten der Behörden Steine in den Weg gelegt.

Joffés Film ist eine Hymne an die Gemeinschaft, welche durch Zusammenhalt Schwierigkeiten ihrer Mitglieder überwindet. Das klingt etwas märchenhaft, und in der Tat ist der Film als Utopie zu verstehen. Allerdings eine, welche auch die unschönen Seiten der Medallie aufzeigt: Überbevölkerung, Armut, bei uns längst vergessene Krankheiten, Mafia-Strukturen, Morde, Prostitution.

 
30 Jahre ist es her, seit ich City of Joy im Kino gesehen hatte. Er hat mir bei der zweiten Sichtung vor ein paar Tagen immer noch gut gefallen. Sowas geschieht sonst eher selten, gerade nach so langer Zeit, denn persönliche Verwerfungen und mögliche Reifeprozesse können die Sicht auf die Dinge mitunter erheblich verändern. Das spricht für diesen Film.
Diesmal sehe ich City of Joy allerdings etwas differenzierter - ich stellte ein paar problematische Punkte fest, die mich 1992 noch nicht störten.

Um zu einer Wertung zu gelangen, musste ich die Plus- und die neu entdeckten Minuspunkte gegeneinander abwägen, denn der Film polarisiert durchaus, nicht zuletzt dank der Hypersensibilität, mit der Filme über fremde Kulturen hierzulande betrachtet werden. Diese färbt ab und beeinträchtigt mitunter das spontane Urteilsvermögen.

Positiv schlägt Folgendes zu Buche:
- das eindrückliche, atmosphärisch dichte Portrait einer Indischen Grossstadt
- die grandiose Regieführung
- die schauspielerischen Bestleistungen von ausnahmslos allen Beteiligten
- kein Spannungsabfall während fast zweieinhalb Stunden Filmdauer
- die positive Grundhaltung hinter dem Projekt.

Wie weiter oben erwähnt, gibt es auch einige problematische Aspekte:
- die oberflächliche Zeichnung der Indischen Gesellschaft; insbesondere das Kastenwesen wird ausgeklammert, obwohl es essentiell für das Verstädnis wichtiger oder für uns irritierender Passagen wäre.
- Im letzten Viertel wird der Utopie-Aspekt zu stark forciert, die "heile Hollywood-Welt" nimmt überhand.

Das Fazit dieser Abwägung: Fünf gewichtige Pluspunkte, die praktisch alle das Filmhandwerk betreffen, gegen zwei gewichtige Minuspunkte, die erzählerischer Natur sind und dem Drehbuch anzulasten sind.
Nun ist ausschlaggebend, was man stärker gewichtet, und da kommt die persönliche Sicht ins Spiel. Objektivität kann man als Filmkritiker zwar anstreben, aber sie bleibt letztlich eine Illusion.
Damals wie heute gewichte ich die Pluspunkte stärker als die Mankos - sie haben mir das Filmerlebnis auch diesmal wieder aufgewertet.

Ich sehe und verstehe, dass City of Joy polarisieren kann - heute, in Zeiten, in welcher der Korridor der politischen Korrektheit immer enger und der Toleranzspielraum der öffentlichen Meinung immer kleiner wird, ist dies noch mehr der Fall als damals. Aber von den teils weit überspannten Krtierien der politischen Korrektheit sollte man sich nicht beeinflussen lassen. Wie weit diese gehen, erfährt man bei Durchscrollen aktueller User-Meinungen zu diesem Werk in einschlägigen Internet-Filmdiensten wie Letterboxd oder der Internet Movie Database. Über Patrick Swayzes angebliche Rolle als "White Saviour", als "weisser Retter" der dummen Inder wird da etwa gewettert; ja, wenn man etwas ums Verrecken sehen will, dann sieht man es auch, und wenn andere es nicht sehen, dann sind die eben dumm und/oder rassistisch. So einfach ist das. Zum Glück stellen solche Kindergärtner-Voten nicht den Grossteil der Forenmeinungen.

Aber was will der Film denn eigentlich?
Mut machen. Er gleicht in seiner Anlage den berühmten Sozialutopien, die Frank Capra in den 40er-Jahren gedreht hatte, You Can't Take It With You und It's A Wonderful Life, die das Lob der Gemeinschaft in schweren Zeiten sangen. Anders als etwa die antikapitalistischen Propagandafilme des europäischen Kinos, wo das Individuum am Schluss unweigerlich den Kürzeren zieht, verlässt man diesen Film hier gestärkt und positiv.

Das Bild, das City of Joy vom indischen Armenviertel zeichnet, mag ja geschönt sein; seine Bewohner sind duldsam und menschenfreundlich. Dies wird allerdings als Folge von gegenseitiger Unterstützung und aktiver Nächstenliebe dargestellt - die Menschen erleben Verbesserungen und schöpfen Hoffnung. Und das ist eine durchaus realistische Reaktion.
Die sauertöpfische linkslastige Filmkritik, die lieber trost- und hoffnungslose Filme propagiert, schreit hier auf: Verlogen und Unrealistisch sei das alles, was Joffé da zeigt.
Schon klar: Werke wie City of Joy nehmen den Linken die Möglichkeit, sich als Heilsbringer anzudienen. Wo die Menschen ihr Leben selbst in die Hand nehmen, braucht es keine Parteiprogramme und Verordnungen.
Dass die Linken sich selbst zentral an Utopien orientieren und dabei die Realität komplett ausblenden (Migrationspolitik, Energiepolitik, Multikulti, Co2-Abschaffung, usw.) scheint sie bei ihrer Kritik gegen Filme wie diesen nicht zu stören.
Der Unterschied zwischen einem Parteiprogramm und einem Film ist jedoch der, dass ein Film nicht in Tat umgesetzt wird und somit auch keinen Schaden anrichten kann.
Somit kann ich City of Joy guten Gewissens zur Ansicht empfehlen.

Als Stadt der Freude kann dieser Film bei Amazon prime video online geschaut werden. Die deutsche DVD ist nur noch antiquarisch erhältlich.
Der Film kann hier in der englischsprachigen Originalfassung online angeschaut werden
(ohne Werbung oder Gebühren).

Patrick Swayze und Om Puri in City of Joy

Who is who in diesem Film?

Patrick Swayze
wurde 1987 mit seiner Hauptrolle im Tanzfilm Dirty Dancing praktisch über Nacht weltberühmt - da war er schon 35. Bis zu seinem frühen Tod im Jahre 2009 überzeugte der überraschend vielseitige Swayze in den unterschiedlichsten Rollen.

Om Puri
- sein Gesicht kennt man hierzulande vor allem aus kleineren, künstlerisch ambitionierten indischen, aber auch britischen und amerikanischen Filmen. Er wurde bekannt, bevor die Welle der Bollywood-Filme zu uns herüberschwappte. Puri verstand sich als Schauspieler - und nie als Star.

Der Brite Roland Joffé startete seine Regiekarriere äusserst vielversprechend: Der mehrfach ausgezeichnete Kriegs-Drama The Killing Fields (1984) brachte im höchsten internationalen Ruf ein, er galt als einer der vielversprechendsten Regisseure seiner Zeit. Der erneut grosse Erfolg seines Zweitlings, The Mission (1986), festigte diesen Ruf. Doch von da an ging es immer steiler bergab; mit City of Joy vermochte er künstlerisch an seine beiden Grosserfolge anknüpfen, das Publikum und die Kritik wollte davon aber nichts mehr wissen. Joffé drehte zwar bis heute weiter Filme, doch an seine beiden Erfolge konnte er nie mehr anknüpfen. Inzwischen ist sein Ruf verblasst und sein Name vergessen.

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