USA 2016
Regie: Clint Eastwood
Drehbuch: Todd Komarnicki
Mit Tom Hanks, Aaron Eckhart, Laura Linney, Mike O'Malley, Anna Gunn u.a.
Dauer: 97 min
Wie man sich vielleicht erinnert, musste im Januar 2009 ein beschädigtes Passagierflugzeug kurz nach seinem Start vom New Yorker Flughafen La Guardia im Hudson River notlanden - ein Manöver, das nur im äussersten Notfall durchgeführt wird, da Notlandungen in Gewässern bislang meist zu Katastophen führen. Dank der Erfahrung und der Besonnenheit des Kapitäns, Chesley "Sully" Sullenberger und dem beherzten und spontanen Einspringen verschiedener New Yorker Institutionen überlebten sämtliche 155 Passagiere.
Zwei Fragen standen vor der Sichtung im Raum: Gehört Sully zu der Sorte Film, die eine sensationelle Begebenheit im Kino kommerziell ausschlachten? Und: Ergeht sich der Film in blinder Heldenverehrung, wie sie im US-Kino öfter zu beobachten ist? Aufgrund von Kritiken, die 2016 zum Filmstart erschienen waren und beide Fragen mit "ja" beantworteten, erwartete ich eine Enttäuschung. Einmal mehr lag ich falsch: Ich wurde von Sully angenehm überrascht!
Was mich einmal mehr zu der Frage führt, ob die professionellen Filmkritiker alle blind sind für das Offensichtliche. Naja, das ist etwas pauschal formuliert... Vielleicht sind nur einzelne blind, und von denen schreiben die anderen dann ab...
Auch aus unseren Breitengraden schlug Eastwoods Film mehrheitlich Ablehnung im oben erwähnten Sinn entgegen. Ohne, dass der Film den geringsten Anlass dazu gibt!
Sully vermeidet die Heldenverehrung aufs peinlichste. Er zeichnet die Ereignisse mit den Mitteln des Spielfilms nach. Dabei dramatisiert er; das ist bei einem Spielfilm allerdings unerlässlich.
Die Figur des Piloten Sullenberger hat nichts Heldenhaftes, eher etwas von einem zerrissenen, zweifelnden Charakter. "Sully" (von Tom Hanks hervorragend gespielt) ist ein altgedienter Pilot, der seinen Job und die Maschine aus dem Effeff kennt. Die plötzliche Bekanntheit ist ihm unangenehm.
"We only did our job", sagt er an einer Stelle zu seinem Co-Piloten (Aaron Eckhart), und das ist genau die Haltung des Films.
Dem Film geht es auch nicht ums Ausschlachten von Sensationen - klar und deutlich steht etwas ganz anderes, den Ereignissen übergeordnetes im Zentrum: Um den Einbruch des Qualitäts-Managements in die Realität und Professionaliät von Berufsleuten - in Form von Sesselfurzern und Schreibtisch-Funktionären. Im Zentrum von Sully steht die Prüfung der Rettungsaktion vor einem Untersuchungs-Ausschuss, der mit Computersimulationen beweisen will, dass sich der Pilot mit seiner Fluss-Notlandung starfbar gemacht hat, weil der den Flughafen theoretisch noch hätte erreichen können und das Flugzeug dann möglicherweise heil geblieben wäre.
Das ist der Kern des Films: Der weltfremde, menschenverachtende Wahnsinn von Theoretikern und Statistikern - man kennt sie heute mehrheitlich unter dem Namen "Experten" oder "Evaluatoren" - die immer mehr in unsere Arbeits- und Lebenswelt hineinreden und mit ihrer naiven Aufgeblasenheit alls zerstören, was einzelne in jahrzehntelanger Knochenarbeit aufgebaut haben. Damit spricht der Film eine brennendes Problem unserer Zeit an.
Aaron Eckhart und Tom Hanks in Sully |
Sully, dem von den Menschen der Stadt für seine Rettungsaktion immer wieder spontan Dankbarkeit und Respekt entgegengebracht wird, muss um seine Anstellung und seine Pension zittern. Wird er vom Untersuchungsausschuss für schuldig befunden, stehen er und seine Familie vor dem Nichts. Dieses Spannungsfeld wissen Eastwood und Drehbuchautor Komarnicki erzählerisch geschickt auszunutzen.
Das Drehbuch baut den Fall sehr geschickt auf. Komarnicki erzählt nicht linear, sondern in Sprüngen, Vor- und Rückblenden, die Notlandung sogar zwei Mal, aus unterschiedlichen Perspektiven. Das ergibt einen Sog, dem zumindest ich mich nicht entziehen konnte.
Das Herzstück des Films ist - gefühlt in der Mitte des Films - der erhebende Moment der Solidarität, wo bei beissender Kälte mehrere Institutionen New Yorks (die Fährenbetriebe auf dem Hudson und die Stadtpolizei) den Opfern zu Hilfe kommen und die Menschen wie ein gut eingespieltes Team vor dem Ertrinken, resp. Erfrieren retten.
Es gibt ein zweites Herzstück, und das ist Sully, bezw. Tom Hanks. Er ist der Mittelpunkt des Films, das vermittelt der Titel genau richtig, an ihm herum laufen die ganzen haarsträubenden Ereignisse ab und er verändert sie durch sein professionelles Eingreifen. Einmal mehr trägt Hanks einen ganzen Film und einmal mehr muss ich konstatieren, wie (scheinbar) mühelos er dieses Aufgabe meistert. Einfühlsam vermittelt er die inneren Kämpfe, mit der die Titelfigur ringt, dies ohne viele Worte, mit Blicken, Gesten und anderen Körpersignalen. Schon diese Leistung allein ist sehenswert.
Kommt dazu, dass Clint Eastwoods charakteristisch unaufgeregte Regieführung paradoxerweise stark zur Steigerung der Spannung beiträgt, indem er die hochdramatischen Ereignisse nicht schnittechnisch übersteuert, sondern diese in Echtzeit sich entfalten lässt.
Dabei hält sich Sully sehr eng an die Tatsachen. Da und dort wurde vom Drehbuch der Spannung zuliebe dramatisiert, was meines Erachtens aber in einem vertretbaren Rahmen geschieht, zudem behält Eastwood die Gefahr der Sensationslüsternheit im Blick und inszeniert dagegen an.
Etwas dick trägt der Film bei der Darstellung des Untersuchungsausschusses auf, wo er am deutlichsten von den Tatsachen abweicht: So feindlich wie im Film war das Gremium offenbar nicht gestimmt. Doch gerade die Einführung eines Antagonisten verleiht dem Film die nötige Richtung; ohne den Konflikt wäre keine vorhanden und Sully würde ins Leere laufen - oder tatsächlich zum Heldenepos verkommen.
Zudem: Den Untersuchungsausschuss gab es, und dessen Stossrichtung wird im Film korrekt wiedergegeben - nur waren dessen Mitglieder wohl nicht derart überheblich und feindselig. Das kann man bemängeln, muss man aber nicht.
Ich meine: Aufs grosse Ganze gesehen - und damit ist die Aussage gemeint, welche die Macher im Sinn hatten - müssen solch kleine dramaturgische Freiheiten erlaubt sein. Sully handelt von einem Profi, dessen Arbeit von praxisfremden "Experten" mittels Computer-Simulationen desavouiert wird. Die Filmemacher warnen vor dieser Entwicklung - und sie bringen die Warnung auf den Punkt!
Heute, acht Jahre später, ist das Problem allgegenwärtig.
Sully ist auf Blu-ray und DVD im deutschsprachigen Raum greifbar. Auch online kann er geschaut werde - bei diesen Anbietern.
Who is who in diesem Film?
Tom Hanks wurde mit seinem seiner ersten Hauptrolle in der Fantasy-Komödie Splash - eine Jungfrau am Haken (1984) praktisch über Nacht zum Filmstar. Er konnte diesen Status mit Schlaflos in Seattle (1993), Forrest Gump (1994) und Apollo 13 (1995) noch steigern. Bis heute ist Hanks ohne Karriereknick einer der beliebtesten und gefragtesten Schauspieler Hollywoods geblieben!
Clint Eastwood ist heute 92 Jahre alt, bis vor einem Jahr war er noch als Regisseur aktiv und brachte den Spielfilm Cry Macho (2021) mit ihm selbst in der Hauptrolle in die Kinos!Eastwood war zuerst Sänger, dann Schauspieler, Drehbuchautor und Regisseur. Auch er ist seit Ewigkeiten prominent und ohne Abbruch im Filmgeschäft tätig: Seit seinen ersten Kinoerfolgen in Sergio Leones legendären Western (u.a. Für eine Handvoll Dollar, 1964) bis 2021.
Wegen seines Engagements in der republikanischen Partei wurde er im mehrheitlich linken Hollywood gemieden und diffamiert - dies, obwohl er sich stark für grüne Anliegen einsetzte, Umweltschutzprojekte unterstützte und sich öffentlich kritisch gegen Donald Trump äusserte.
Ferner liefen:
Unter
diesem Titel werden hier andere von mir geschaute Filme kurz
besprochen, Filme, die in meinem Empfinden gegenüber dem oben
beschriebenen weniger gut abschnitten. Wer sich näher über die einzelnen Werke informieren möchte, möge auf den jeweiligen Link klicken, der zur englischsprachigen Internet Movie Database führt.
Kein Brachialhumor: Johnny English - Jetzt erst recht! (Johnny English Reborn, UK 2011)
Regie: Oliver Parker
Rowan Atkinson beweist auch im zweiten Film als Johnny English, dass er, erstens, ein sehr versierter Schauspieler ist und, zweitens, das komödiantische Timing perfekt beherrscht. Mit minimsten Veränderungen der Kopfhaltung kann er einen Gag aufwerten und zu optimaler Geltung bringen. Atkinson ist der Hauptgrund dafür, dass dieser Film von Anfang bis Ende vergnüglich bleibt. Er spielt den titelgebenden Spion mit einer erstaunlichen Mischung von professioneller Coolness und kompletter Deppertheit.
Nichts für Freunde des Brachialhumors, Atkinsons Komik schlägt hier eher feine Töne an.
Neo-Western: Appaloosa (2008)
Regie: Ed Harris
Ein "Neo-Western". In dessen Zentrum stehen die beiden "Law Enforcer" Virgil Cole (Ed Harris) und Everett Hitch (Viggo Mortensen). Sie sollen im Kaff Appaloosa dem Recht zum Durchbruch verhelfen; der örtliche Sherriff und dessen Deputies wurde vom verbrecherischen Rancher Randall Bragg (Jeremy Irons) niedergeschossen, seither terrorisiert dessen Bande das Dörfchen.
Virgil und Everett verbindet eine langjährige Freundschaft, der eine weiss immer schon, was der andere sagen will, respektive nach welchem Wort er gerade sucht. Ed Harris und Viggo Mortensen verleihen den beiden Hauftfiguren kraft ihres Charismas starke Konturen, welche die eher schwache Charakterdisposition des Drehbuchs überstrahlt, dasselbe gilt für den von Irons gespielten Bösewicht. Die drei sind klar die Hauptattraktion des Films.
Die Ausgangslage verspricht Hochspannung, und es macht in der Tat grossen Spass, zuzusehen, wie die beiden aufeinander eingespielten Gesetzeshüter mit den bösen Buben aufräumen. Doch dann taucht plötzlich die Witwe Allison French (Renée Zellweger) in Appaloosa auf - und sorgt für ungünstige Verschiebungen in den Figurenkonstellationen...
Mit dem Auftauchen der Witwe fällt der Film leider auseinander, oder besser: er franst aus. Was als klassischer, humorvoll-holzschnittartiger Gut-Böse-Konflikt begann, wendet sich plötzlich zu... ja, was eigentlich? Das wird leider nicht erkennbar.
Der absolut gradlinig begonnene Film fängt plötzlich an, zu mäandern, scheinbar ziellos, einige Figuren verhalten sich plötzlich entgegen ihrer Anlage, das Verhalten der Witwe bleibt von Anfang bis Ende ein Rätsel - am Schluss fragt man sich, was das Ganze eigentlich hätte sein sollen.
Britischer Film- und Bühnenklassiker: Pygmalion (1938)
Die wenigsten wissen, dass George Bernard Shaw mal einen Oscar erhalten hatte. Und zwar für die Leinwandadaption seines Stücks Pygmalion.
Der Film kann seine Bühnenherkunft nicht verleugnen und ist ein einleuchtendes Beispiel dafür, dass sich Theaterstücke nicht so einfach verfilmen lassen. It's talking heads all over. Die Auflockerung durch Musical-Einlagen in der Neufassung (My Fair Lady, siehe unten) sind durchaus einleuchtend. Erschwerend kommt hier dazu, dass die Rollen eher fade besetzt sind. Leslie Howard als Higgins passt perfekt, Wendy Hiller hingegen ist die Anstregung, die ihr die Eliza-Rolle auferlegt hat, anzumerken, der Rest der Truppe ist bemerkenswert unbeindruckend.
Nicht nur der Film, auch das Stück ist schlecht gealtert. Die zu Beginn des Jahrhunderts durchaus signifikanten sozialen Unterschiede sind inzwischen nivelliert, Shaws Anliegen fällt heute auf unfruchtbaren Boden. Aber möglicherweise dauert es nicht mehr allzu lange, bis das Stück wieder an Brisanz gewinnt...
Bleiben die schönen Dialoge, doch die schaut man sich mit mehr Gewinn besser im Theater an.
Der Musical-Klassiker: My Fair Lady (1964)
Die Musicalfassung behält Shaws Bühnentext über weite Strecken bei und reichert das Stück mit Musik- und Tanznummern an. Damit wird die Verstaubtheit zwar aufgelockert und übertüncht, doch es verlängert die Geschichte ins Endlose (der Film dauert fast drei Stunden). Und da die Songs die Handlung jeweils ausbremsen, macht sich auch hier bald Langeweile breit.
Besetzungstechnisch lässt My Fair Lady die Erstverfilmung deutlich hinter sich - auch kleine Nebenrollen sind hier mit charismatischen Schauspielern und Schauspielerinnen besetzt, die den Film über weite Strecken tragen. Für die ganzen ganzen drei Stunden reicht's dann aber doch nicht.
Der Besetzungscoup ist zweifellos Audrey Hepburn, die man so wie in der ersten Stunde noch nie gesehen hatte. Sie meistert die Rolle der Gassen-Göre mit Bravour und ich empfinde es jedesmal, wenn ich den Film sehe, als Verlust, wenn sie dank Higgins' Sprech-und Benimm-Schule wieder in ihr altes Audrey-Hepburn-Rollenmuster zurückfindet.
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