Donnerstag, 21. Juli 2022

Jungle (2017)


Australien/UK 2017
Regie: Greg McLean
Drehbuch: Justin Monjo
Mit Daniel Radcliffe, Alex Russell, Thomas Kretschmann, Joel Jackson u.a.
Dauer: 1h 55min

Bolivien, 1981. Der junge Yossi Ghinsberg (Daniel Radcliffe) reist als Rucksacktourist in Südamerika herum. Und wie das so ist in der Backpacker-Szene: Er trifft Gleichgesinnte, tut sich für eine kurze Wegstrecke mit anderen zusammen, man trennt sich wieder und trifft sich irgendwann erneut.
Auf diese Weise
finden Leute aus aller Welt zusammen: Yossi (Israel), Kevin (Kanada) und Markus (Schweiz) finden sich und bleiben eine Weile in einer Backpacker-Kommune zusammen. Bis Yossi sich von Karl (Deutschland) zu einem mehrtägigen Dschungeltrip überreden lässt. Der um einiges ältere Karl kennt den unzureichend kartografierten Urwald wie seine Westentasche und er ist unterwegs zu einem vergessenen Eingeborenenstamm. So behauptet er jedenfalls...

Zunächst geht alles gut, Karl (Thomas Kretschmann) gibt den Führer, die drei jungen Männer folgen ihm und lassen die endlose Ausbreitung seiner seltsamen, marxistisch angehauchten Weltsich über sich ergehen. Eine Weltsicht, die in der Aussage gipfelt, der zivilisierte Mensch sei eine Fehlentwicklung und müsse zum Verschwinden gebracht werden.
Als Markus (Joel Jackson) wegen wunder und entzündeter Füsse das Vorwärtskommen der Gruppe immer mehr verlangsamt, setzt dies Ereignisse in Gang, die im Tod zweier Expeditionsteilnehmer und im Beinahe-Tod von zwei anderen gipfeln.

Greg McLeans Film folgt den Begebenheiten, die der echte Yossi Ghinsberg in seinem Buch Jungle (dt.: Dem Dschungel entkommen) minuziös nachgezeichnet hat. Der amerikanische Drehbuchautor Justin Monjo hat die Vorlage filmgerecht aufbereitet. Obwohl ich mir zeitweise einen subtileren Regisseur gewünscht hätte, ist Jungle ein ungeheuer packendes Filmerlebnis geworden.

Das liegt zum einen an der spannenden Geschichte. Sie beginnt beschaulich mit der skizzenhaften, aber genauen Beschreibung des Backpacker-Milieus. Als dann Karl zum ersten Mal auftaucht (Kretschmann kriegt die Zwielichtigkeit seiner Figur von Beginn weg hervorragend hin), läuten beim Publikum bereits die Alarmglocken: Geht nicht mit dem mit, will man den drei Freunden zurufen. Doch Yossi überredet seine skeptischen Kumpel, und das Unglück nimmt, zunächst in kleinen Schritten, seinen Lauf, bevor es in die grösstmögliche Katastrophe mündet: Yossi und Kevin werden im tiefsten Dschungel getrennt, verlieren sich aus den Augen und müssen, jeder auf sich allein gestellt, ums Überleben kämpfen. Kevin (Alex Russell) wird nach ein paar Tagen zufällig von Fischern gefunden, Yossi irrt drei ganze Wochen allein durch das endlose Waldgebiet, bis er erst dem Wahnsinn und dann dem Tod nahe ist.

 
Das Drehbuch baut den Höllentrip sorgfältig auf bis zum Höhepunkt, den Yossis einsamer Irrlauf durch den menschenfeindlichen Urwald beinhaltet. Er erzählt dabei chronologisch und versteht es, Spannung zu erzeugen, obwohl die Zuschauer den glücklichen Ausgang der Geschichte bereits kennen.
Einige unappetitliche Episoden wurden weggelassen, dafür stellvertretend steht die Geschichte mit der "bewohnten" Beule, die plötzlich an Yossis Stirn zu wachsen beginnt. Unter anderem hier wird das Dilemma deutlich, vor dem sich der Drehbuchautor gegenüber sah: Die exakte Darstellung von Yossis Überlebenskampf hätte eine ganze Spielfilmlänge benötigt. Der Autor behilft ich mit
exemplarischen Sequenzen: Eine für die ekligen, aber ungefährlichen Begebenheiten, zwei je für das Auffinden von Nahrung und Wasser, und eine für Raubtierbegegnungen. Das Konzept überzeugt nicht ganz, denn der Urwald erscheint dadurch etwas zahm und seltsam gnädig gestimmt. Der Stossrichtung des Films (siehe weiter unten) tut das aber keinen Abbruch.

Ein weiterer Grund für das Gelingen des Filmprojektes sind die Schauspieler. Ab der Hälfte wird Jungle zum Daniel-Radcliffe-Sololauf. Er meistert den schwierigen Part hervorragend - eine bewundernswerte Leistung! Radcliffe hungerte sich für das letzte Drittel sogar zum Skelett herunter - was nach meinem Dafürhalten nicht hätte sein müssen. Radcliffe ist glaubhaft genug.
Auch die anderen drei spielen ihre Rollen bestens. Beim Schweizer Lehrer Markus war ich hinterher überrascht zu erfahren, dass er von einem Australier verkörpert wurde - Joel Jackson trifft die Note "schweizerischer Lehrer" derart perfekt (und ich muss es wissen, denn ich bin selbst ein schweizerischer Lehrer). Und Kreschmann gibt den Öko-Spinner so glaubhaft ("die Eingeborenen sind uns Zivilisierten weit voraus!"), dass ich mich unweigerlich in die Achzigerjahre zurückversetzt fühlte.

Nächtes Plus: Die Kamera (Stefan Duscio). Jungle besticht mit geschickten Bildkompositionen und vor allem mit wunderbaren Dschungelbildern, obwohl hier der australische Urwald für den bolivianischen ausgegeben wird (Stellenweise bemerkt man den Schwindel). Jungle vermittelt das Gefühl von der menschlichen Winzigkeit angesichts der gewaltigen Natur sehr gut; Worte werden angesichts der Bilder überflüssig. 

Letzteres ist eine Botschaft des Films - aber nicht die einzige.
Auf ebenso unaufdringliche Art und Weise ist Jungle ein Manifest des menschlichen Überlebenswillens. Yossi gibt nicht auf. Immer weitergehen, sagt er sich wie ein Mantra immer wieder vor, geh' vorwärts, lauf weiter, nicht stehen bleiben. Man nimmt Daniel Radcliffe diese Einstellung, aber auch die zunehmend tödlichere Erschöpfung ab. Ohne einen derart starken Hauptdarsteller wäre diese Wirkung des Films wahrscheinlich ausgeblieben.

Ich war übrigens zuerst etwas irritiert darüber, dass hier ein Brite einen Israeli spielt (mit gekünsteltem Akzent); das ginge heute dank politischer Korrektheit wohl nicht mehr. Nach den ersten fünf Minuten ist die Irritation aber vergessen. Hinterher las ich, dass Radcliffe ein halber Jude ist (die Vorfahren seiner Mutter waren jüdische Einwanderer aus Polen und Russland und hiessen Gershon). Also alles politisch in korrekt trockenen Tüchern! Niemand muss sich aufregen. Das würde sowieso nur von diesem empfehlenswerten Film ablenken...

Jungle ist auf Blu-ray und DVD im deutschsprachigen Raum greifbar. Auch online kann er geschaut werden - bei diesen Anbietern.
Man kann ihn auch hier - in der englischsprachigen Originalfassung online ansehen - ohne Werbung und Gebühren.



Who is who in diesem Film?

Daniel Radcliffe - muss man den langjährigen Harry Potter-Darsteller überhaupt vorstellen? Bereits mit 10 Jahren stand er vor der Kamera, in der Britischen TV-Serie David Copperfield. Dann kamen die Grossproduktione um Harry Potter, allen bekannt, und danach nahm Radcliffe nur noch Rollen in kleinen, unabhängig produzierten Kinofilmen an. Diesen war allerdings meist kein Erfolg beschieden. Ob ihn das 2016 zurück zu grossen Produktionen wie Die Unfassbaren 2 führte - wer weiss?

Thomas Kretschmann begann als Jugendlicher in der DDR mit einer Karriere als olympischer Schwimmer. Mit 17 hängte er die Schwimmerei an den Nagel und plante, mit der Schauspielschule zu beginnen, was er jedoch - jedenfalls in der DDR - nie tat. 1983 flüchtete Kretschmann in den Westen, wo er schliesslich und endlich die Schauspielschule besuchte.
Seine erste Film-Hauptrolle spielte er in Joseph Vilsmaiers Stalingrad. Ab ca. 2002 bekam er auch Nebenrollen in Hollywood-Filmen, etwa in Blade II, Pater Jacksons King Kong oder in Bryan Singers Operation Walküre.

Greg McLean, der australische Regisseur des Films, arbeitete zuerst als Theater- und Opernregisseur, bevor er die Leinwand mit grauslichen Splatter-Horror-Streifen wie Wolf Creek (2005) eroberte. Jungle ist sein erster Kinofilm in einem anderen Genre.

Ferner liefen:
Unter diesem Titel werden hier andere von mir geschaute Filme kurz besprochen, Filme, die in meinem Empfinden gegenüber dem oben beschriebenen weniger gut abschnitten. Wer sich näher über die einzelnen Werke informieren möchte, möge auf den jeweiligen Link klicken, der zur englischsprachigen Internet Movie Database führt.

Eine Entdeckung: Mörderischer Vorsprung (Shoot to Kill, 1988)
Der altgediente FBI-Mann Warren Stantin (Sidney Poitier) wird von einem schlauen Diamantenräuber und Killer genarrt, der ihm eine schmachvolle Niederlage bereitet. Als der Gesuchte in den Bergen nahe der kanadischen Grenze auftaucht, begibt sich Stantin auf unbekanntes Terrain. Mit Hilfe des eigenbrötlerischen Bergführers Knox (Tom Berenger) wird die Jagd durch undurchdringliche Wälder, reissende Wildwasser und schwindelnde Höhen fortgesetzt.
Shoot to Kill bezieht einen Grossteil seines komischen Potentials aus dem Umstand, dass der grossstadt-erprobte FBI-Macker in der Bergwelt ziemlich hilflos dasteht. Das ständigen Kabbeleien mit seinem übellaunigen Führer sorgen für die komischen Momente in diesem ansonsten atemlos spannenden Film. Der Killer hat sich inzwischen einer kleinen Männer-Wandergruppe angeschlossen, die von Knox Freundin Sarah (Kirstie Alley) geführt wird...
Der von Roger Spottiswoode sehr effektiv inszenierte Streifen lässt keinen Moment nach. Ständig tauchen neue Gefahren auf, der Zuschauer weiss lange Zeit nicht, wer der Bösewicht ist und der FBI-Mann erweist sich als Klotz am Bein des Unternehmens. Das Drehbuch zieht sämtliche Spannungsregister, und lässt für die kribbligen Momente von Höhenangst über wilde Bären nichts aus.
Leider gibt es auch ein paar signifikante Unstimmigkeiten, die sich vor allem im Showdown für leichte Irritation sorgen.
Mein Tipp: Logikmodus ausschalten und geniessen! Dann macht der Film richtig Spass.
Es gab ihn mal auf DVD, diese ist antiquarisch noch relativ günstig erhältlich.
Oder dann hier - in der englischsprachigen Originalfassung (werbefrei, ohne Gebühren).

Mörderraten: In der Stille der Nacht (Still of the Night, 1982)
Dieser Film stand am Anfang von Meryl Streeps beispiellosem Aufstieg zum Superstar. Im Jahresrhythmus war sie in den Achzigerjahren in Grosserfolgen wie Sophie's Choice, Silkwood, Jenseits von Afrika, Wolfsmilch und anderem zu sehen.
Still of the Night ist ein Crime-Thriller um einen Psychiater (Roy Scheider), der einen ermordeten Restaurator behandelt hatte - welcher eines Tages ermordet aufgefunden wird. Nun befindet sich auch der Psychiater in Gefahr, da der Mörder ja nicht weiss, ob ihm der Psychiater aufgrund von Hinweisen seines Patienten nicht auf die Spur kommen könnte. Wir Zuschauer wissen auch in diesem Film lange nicht, wer der Mörder ist. Ist es vielleicht die Geliebte des Ermordeten (Meryl Streep), die plötzlich in des Psychiaters Praxis auftaucht?
Robert Benton hat hier einen bedächtig sich entwickelnden Thriller geschrieben und inszeniert, der grosse Qualitäten, aber auch einen enttäuschend plumpen Schluss hat.
Die Qualitäten: Ein äusserst funktionales, elegantes und schlankes Drehbuch, zwei hervorragende Hauptdarsteller, tolle Kameraarbeit (Nestor Almendros) und ein grandioses "Produktionsdesign" (Mel Bourne). Eigentlich ist Still of the Night ein Genuss.
Das führt zur der Frage: Warum bloss ruiniert ein vergeigter Schluss, der vielleicht fünf Minuten dauert, alles, was vorher war? Wenn ein Film mit einer erzähltechnischen Enttäuschung endet, färbt das leider ab.
Es hilft, wenn man sich bewusst macht, dass der Schluss an den schauspelerischen Leistungen, der Kameraarbeit und den tollen Sets nichts ändert. Diese Vorzüge hatte ich während der Sichtung genossen, die ökonomische Erzählweise ebenso. Und das zählt auch nach der Auflösung.
Der Film ist als In der Stille der Nacht auf Blu-ray und DVD erschienen. Im Stream kann er bei diesen Anbietern abgerufen werden.
Oder in der englischsprachigen Originalfassung (werbefrei, ohne Gebühren) hier.

Fauler Zauber: Die Unfassbaren - Now You See Me (Now You See Me, 2013)
Vier der besten Zauberer schliessen sich zu der Formation "Four Horsemen" zusammen und begehen während ihren gigantischen Bühnenshows spektakuläre Raubüberfälle. Das Ganze ist eine Bewährungsprobe, hinter welcher ein unbekannter Magier steht. Das FBI und Interpol, die dicht an ihren Fersen kleben, können die "Four Horsemen" dank ihrer schier unerschöpflichem Trick-Reservoir immer wieder abschütteln und dumm aussehen lassen.
Now You See Me von Regisseur Louis Leterrier ist von Anfang bis Ende höchst amüsant und unterhaltsam, glänzt mit einigen grossen Namen (Woody Harrelson, Morgan Freeman, Michael Caine, Mark Ruffalo), doch hinterlässt er einen eher durchwachsenen Eindruck, was den Handlungsverlauf betrifft. Die Schlusspointe schliesslich ist eher ein Schlag ins Gesicht als eine wirkliche Pointe, denn sie wirkt derart aufgesetzt und an den Haaren herbeigezogen, dass man sich verschaukelt vorkommt.

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