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Samstag, 29. August 2020

The Man Who Played God (1932)




The Man Who Played God (1932)
Mit George Arliss, Violet Heming, Bette Davis, Ivan F. Simpson, Louise Closser Hale, André Luguet u.a.
Drehbuch: Julien Josephson und Maud T. Howell nach dem Bühnenstück von Jules Eckert Goodman
Regie: John G. Adolfi
Produzent: Jack L. Warner und Darryl F. Zanuck

Kamera: James Van Trees
Musik: Leo F. Forbstein
Studio: Warner Brothers

Kino/TV-Auswertung im deutschsprachigen Raum: keine
Dauer: 80 min

Farbe: schwarzweiss



Diesmal küre ich ein Werk zum "Film der Woche", das weder durch grosse künstlerische Leistungen noch durch besondere inhaltliche Tiefe auffällt. Im Zentrum des Streifens steht allerdings ein Schauspieler, der hierzulande auch den hartgesottenen Filmfreaks unbekannt sein dürfte und dessen Werdegang interessant genug ist, um ihn einmal vorzustellen

Zuerst zum Film: Während eines Privatkonzerts für einen europäischen König erleidet der berühmte Pianist Montgomery Royle (George Arliss) in Folge eines Attentats auf die Majestät den Verlust seines Gehörs.
Mit einem Schlag verliert er seinen bisherigen Lebensinhalt, die Musik Chopins, Beethovens, Schumanns...
Während er mit seinem Schicksal hadert, versucht seine Entourage, ihn aus der Depression zu locken: seine jugendliche Verlobte (Bette Davis), indem sie sein Unglück zu überspielen und ihn abzulenken versucht, seine Schwester Florence (Louise Closser Hale), indem sie ihm einen Kurs in Lippenlesen aufdrängt (den er erfolgreich absolviert). Doch schliesslich ist es der Sekretär Battle (Ivan F. Simpson), der den rettenden Vorschlag macht. Mittels eines Fernglases beobachtet der taube Pianist vom Fenster seines Hotelzimmers fortan die Leute im benachbarten Park, liest ihnen ihre Sorgen von den Lippen ab - und findet Erfüllung darin, für all die unbekannten Mühseligen und Beladenen Schicksal zu spielen...


Der Film
The Man Who Played God ist beileibe kein grosser Film und er bringt auch keine schauspielerischen Glanzleistungen - im Grunde ist er in Machart und Aufbau etwas antiquiert, das Spiel des Hauptdarstellers wirkt veraltet und permanent scheint durch, dass dem Film ein Theaterstück zu Grunde liegt. Trotzdem vermag er zu packen und das Zuschauerinteresse zu wecken - einerseits, weil das Bühnenstück wirklich gut geschrieben und solide aufgebaut und die Handlung immer interessant ist, andererseits, weil sämtliche Charaktere und die sie verkörpernden Schauspieler sympathisch und liebenswert sind. Beim Ansehen merkte ich, dass ich dem Film Schnitzer verzieh, die ich anderen Kinowerken angekreidet hätte - etwa die miserabel spielenden Schauspielerinnen und Schauspielern, welche die 
Leute aus dem Park verkörpern (zu denen übrigens ein ganz junger Ray Milland zählt) oder deren ebenso miserablen Dialoge.
Es gibt zudem einen religiösen Unterton, doch dieser ist dezent eingeflochten und wirkt dank seiner klaren Haltung nie überzeichnet. Man kann festhalten, dass 
The Man Who Played God durchwegs erbaulich ist - in einem positiven, nie sektiererischen Sinn. 

George Arliss, der den titelgebenden Mann spielt, gehört, wie oben erwähnt, zu den in unseren Breitengraden komplett vergessenen Akteuren des alten Hollywood. Ich hatte vor der Entdeckung dieses Films noch nie von ihm gehört, und das, obwohl er zu Beginn der Tonfilmzeit ein hoch geachteter Star des Warner-Studios war. Sein geringer Bekanntheitsgrad mag mit der Tatsache zusammenhängen, dass der gebürtige Brite so gar nicht in das gängige Bild des Stars passt, dass von den nachfolgenen Generationen geprägt wurde: Arliss war alt, klein und völlig unspektakulär. Aber wie wird so jemand zum Star? Und das im Warner-Studio, das eher auf hartgesottene Unterhaltung setzte?

George Arliss, um 1932
Ein höchst ungewöhlicher Filmstar
Anfangs der Dreissigerjahre suchten die Studios nach neuen Talenten. Wegen des immens erfolgreichen Tonfilms mussten sie sprechen können. Was lag also näher, als sich auf den Bühnen umzusehen?
Arliss (eigentlich George Augustus Andrews) begann seine Schauspielerkarriere 1887 im englischen Provinztheater; ab 1900 spielte er in London Nebenrollen und nach einer US-Tournee seiner Truppe blieb er in New York hängen und stieg dort zum Bühnenstar auf. Besonders die Rolle des viktorianischen britischen Premierministers Benjamin Disraeli wurde 1911 zum Riesenerfolg für Arliss, den er später in gleich zwei Verfilmungen wiederholen sollte - 1921 und 1929, einmal ohne Ton, einmal mit.


Zum Film kam Arliss 1921 - mit einem anderen erfolgreichen Bühnenstück, The Devil. Nach fünf weiteren stummen Verfilmungen seiner Theatererfolge zog sich Arliss wieder aus dem Filmgeschäft wieder zurück und stand weiterhin auf den Brettern, die die Welt bedeuten.
Harry Warner, der im Warner-Studio als Talentsucher fungierte, rekrutierte ihn Ende der Zwanzigerjahre für die Tonfilmfassung von Disraeli. Gemäss Arliss' Ausssagen war Warners primäre Absicht, auch die Theaterbesucher in die Kinos locken. Mit dem grossen Erfolg von Disraeli hatte er gar nicht gerechnet: Arliss wurde als erster britischer Schauspieler mit dem Oscar ausgezeichnet. 

Die Auszeichnung trug dann das ihre dazu bei, dass Arliss zum Star des Studios aufstieg - neben Jungspunden wie Edward G. Robinson und James Cagney, die zu dieser Zeit des öfteren in den für Warner typischen hartgesottenen Gangsterfilmen zu sehen waren. Der damals 62-jährige Arliss war der älteste Schauspieler jener Zeit mit Star-Status, und er konnte diesen über acht Jahre halten, bevor er sich langsam aus dem Filmgeschäft zurückzog.
Wegen seines leicht mumienhaften Aussehens und der antiqierten Art zu schauspielern, kann man sich heute nur darüber wundern, dass er beim grossen Publikum so gut ankam. Allerdings besass er eine starke menschliche und sympathische Ausstrahlung, die auch den von ihm gespielten Rollen inhärent waren. Ich vermute, dass es die väterliche Wirkung war, mit der er punkten konnten.
 
1934 wurde Arliss von Kinogängern in Grossbritannien zum beliebtesten männlichen Schauspieler gewählt.

Arliss, der Förderer 
Arliss' Vertrag bei Warner Brothers übertrug ihm einen für jene Zeit unüblich hohen Anteil an kreativer Eigenständigkeit, was ein weiteres Zeichen für die Wertschätzung war, die er genoss. Ihm wurde sogar das Recht eingeräumt, die Schauspieler selbst auszusuchen und Änderungen am Skript vorzunehmen - was meines Wissen damals einzigartig war. 

Und so kam es, dass er für The Man Who Played God die damals noch unbekannte Bette Davis engagierte. Arliss war derart beeindruckt von der blutjungen Anfängerin, dass ihre ursprünglich kleine Rolle auf sein Geheiss ausgebaut wurde. 
In der Tat überstrahlt Bette Davis alle anderen in diesem Film - inklusive ihren Mentor Arliss; ihre Präsenz ist derart leuchtend, dass die Produzenten und die Kritker auf sie aufmerksam wurden und ihr in der Folge grössere Rollen vorgeschlagen wurden.
In ihrer Biografie bezeichnete Bette Davis The Man Who Played God als wichtigsten Film ihrer gesamten Karriere. Er wurde zum Katalysator ihrer langen, glanzvollen Karriere.


Gemäss Wikipedia soll Arliss auch James Cagney und Dick Powell entdeckt haben.

Obwohl George Arliss in den USA ein respektabler Erfolg bescheiden war, blieb er in Deutschland unbekannt. Ganz eindeutig kann sein wirklicher Bekanntheitsgrad allerdings heute nicht mehr eruiert werden. So finden sich für zwei, drei seiner Filme zwar deutsche Titel, aber keine zugehörige Aufführungsdaten. Möglicherweise war in diesen Fällen eine deutsche Synchronisation geplant, die dann aber aus irgendwelchen Gründen nicht ausgeführt wurde. Zu einem einzigen seiner Filme ist - allerdings nur bei imdb.com - eine Angabe zu einer deutschen Synchronfassung zu finden: Für eine TV-Ausstrahlung im Jahr 1965 der Komödie A Successful Calamity, (1932), unter dem deutschen Titel Rettender Ruin. Eine Verifizierung dieser Angabe erwies sich leider als unmöglich. Arliss' Name verliert sich in unseren Breitengraden im Nebel der Vergangenheit.

Auf DVD ist The Man Who Played God hierzulande denn auch nicht erhältlich. Die "Warner Archive Collection" hat den Film in den USA herausgebracht - DVD-R, made on demand, regionalcodefrei, in sehr guter Bild- und Tonqualität.
Darüber hinaus finden sich in derselben Reihe weitere Filme dieses vergessenen Starschauspielers.




Michael Scheck


Bewertungen: 
imdb.com: 7,1 / 10 (919 Stimmen)
Letterboxd.com: 3,0 / 5 (72 Stimmen)
Meine Wertung: 7 / 10

Montag, 10. August 2020

Ihre zwölf Männer (Her Twelve Men, 1954) - Kurzkritik




Her Twelve Men (dt.: Ihre zwölf Männer, 1954)
Mit
Greer Garson, Robert Ryan, Barry Sullivan, Richard Haydn, Rex Thompson, Dale Hartleben, James Arness, u.a.
Drehbuch: William Roberts und Laura Z. Hobson
Produzent: John Houseman
Regie:
Robert Z. Leonard
Kamera: Joseph Ruttenberg
Musik: Bronislau Kaper
Studio: MGM
Kino/TV-Auswertung im deutschsprachigen Raum: September 1992
Dauer: 91 min

Farbe:color




Bewertungen: 
imdb.com: 6,4 / 10 (383 Stimmen)
Letterboxd.com: 3,3 / 5 (39 Stimmen)
Meine Wertung: 8 / 10


 
"The most unusual picture of her career! In gorgeous color!"
So verkündet das Kinoplakat von 1954. Den zweiten Teil der Botschaft kann ich bestätigen - die Farben sind wirklich herrlich. Was den ersten Teil betrifft, kann ich nicht mitreden, denn dies war mein erster Greer-Garson-Film.
Das einzig Ungewöhnliche daran ist die Rolle, die der Wastern-Haudegen Robert Ryan darin spielt (einen Lehrer!), der Rest ist recht konventionell.


Das bedeutet aber keineswegs, dass "Her Twelve Men" schlecht wäre. Robert Z. Leonards Film wirft einen liebevollen Blick auf eine private Boys-School der 50er-Jahre. Dort wird die in diesem Beruf unerfahrene Jan Stewart (Greer Garson) als Lehrerin eingestellt - sie ist das einzige weibliche Mitglied des Lehrkörpers. Trotzdem sprechen ihre 12 Jungs sie mit "Sir" an. Nach anfänglichen disziplinarischen Schwierigkeiten entwickelt Miss Stewart einen von gesundem Menschenverstand geleiteten Erziehungsstil und gewinnt damit nach und nach das Vertrauen der Knaben... soviel zum Stichwort "konventionell".

Was "Her Twelve Men" aber eigentlich auszeichnet, sind die entlang der Konventionen liebevoll ausgedachten, mit viel Humor und schauspielerischem Engagement erzählten charmanten Episoden. Zwar sind nicht alle sind zu Ende gedacht, und Robert Ryan ist wirklich falsch besetzt mit seinem fehlenden Charme und seiner überheblichen Ausstrahlung, doch der Film verkraftet diese Schwächen.


Das geht einerseits aufs Konto der famosen Kinderdarsteller und der glaubhaft aufspielenden Hauptdarstellerin, des sehr gelungenen Drehbuches (William Robersts und Laura Z. Hobson) und der Quintesszenz des Films, die da lautet, dass die wichtigste Voraussetzung für gelingendes Unterrichten die Fähigkeit ist, eine Beziehung zu den Lernenden aufzubauen - eine Erkenntnis notabene, die in den letzten Jahren als essentiell wiederentdeckt worden ist.

Erhältlich ist dieser von der Filmgeschichte vergessene kleine Film auf einer DVD-R (Made on demand, RC0) der Warner Archive Collection.




Sonntag, 26. Juli 2020

Seh-Empfehlung 5: Lizzie (1957)




Lizzie (1957)
Mit Eleanor Parker, Joan Blondell, Richard Boone, Hugo Haas, Ric Roman, Johnny Mathis u.a.
Drehbuch: Mel Dinelli nach einem Roman von Shirley Jackson
Regie: Hugo Haas
Kamera: Paul Ivano
Musik: Leith Stevens
Studio: Bryna Productions
Kino/TV-Auswertung im deutschsprachigen Raum: keine
Dauer: 81 min

Farbe: schwarzweiss


Die mausgraue, zurückgezogene Büroangestelle Elizabeth Richmond (Eleanor Parker) wohnt bei ihrer ständig angetüdelten, scharfzüngigen Tante Morgan (Joan Blondell), die immer an Elizabeth herummäkelt. Nach einer harmlosen Auseinandersetzung zu Beginn des Films schleppt sich die kopfschmerzgeplagte Elizabeth die Treppe hinauf und bleibt plötzlich stehen. Wir sehen sie in der Totale, von hinten. Und obwohl die Schauspielerin nichts tut - sie steht einfach da - merken wir, dass etwas mit ihr geschieht. Etwas verändert sich. Mit plötzlich fester und gehässiger Stimme krakeelt sie: "You drunken old slut!" ("Du besoffene alte Schlampe!").
"What did you just say?", fragt die überrumpelte Tante. Elizabeth dreht sich um, jetzt wieder ganz ihr vorheriges, mäuschenhaftes Selbst und fragt verwirrt, was sie meine; sie hätte doch gar nichts gesagt.


Eleanor Parker!
Es ist mir ein Rätsel, wie Eleanor Parker diese Verwandlung sicht- oder besser: spürbar gemacht hat. Der Effekt wird ohne Lichtveränderung, drohend anschwellende Musik oder Sprecial-Effects erreicht - allein schauspielerisch. Obwohl wir Miss Parker nur von hinten sehen und noch bevor die Thematik des Films angesprochen wird, nehmen wir die Veränderung, die in Elizabeth vorgeht, wahr. Es ist der erste Moment im Film, in dem "die Andere" sich zeigt. Er erzeugt Gänsehaut, etabliert das Thema (multiple Persönlichkeit) und saugt einen richtiggehend in den Film hinein. Er etabliert den Ton von Lizzie: Das Thema wird handfest angegangen, mit den Mitteln des Unterhaltungsfilms. Kein politisch korrekter Schlingerkurs.
Das kann man Lizzie vorwerfen, trotzdem ist er damit ehrlicher als der ihm verwandte The Three Faces of Eve (dt.: Eva mit den drei Gesichtern), auf den hier noch näher eingegangen wird. Letzterer geht dieselbe heikle Thematik mit Glacéhandschuhen an und gibt sich einen wissenschaftlichen Anstrich - obwohl er im Grunde auch nichts anderes tut, als den Defekt zu Unterhaltungszwecken auszubeuten. Da ist Lizzie direkter, und das ist gut so.


Im Mittelpunkt steht besagte Elizabeth Richmond, eine unscheinbare Frau, die ohne es wahrzunehmend an einer multiplen Persönlichkeitsstörung (heute: dissoziative Identitätsstörung) leidet: Drei Seelen wohnen in ihrer Brust. Eine davon, die titelgebende Lizzie, will sich befreien. Sie ist wild, laut und verrückt nach Abenteuer (mit Männern). Lizzie schreibt Drohbriefe an Elizabeth und kündigt an, sie umzubringen – was die hoch sensible Elizabeth zutiefst verstört. Unter psychiatrischer Behandlung taucht später noch eine dritte Person auf, Beth, das Kind, das sich seit einem verstörenden Erlebnis nie mehr gemeldet hat, das "untergetaucht" und das Feld Elizabeth und Lizzie überlassen hat. Die Vorlage zum Film beruht auf einem wahren Fall, doch auch dazu später mehr.

Es ist fast unheimlich, wie die heute zu Unrecht kaum mehr bekannte Eleanor Parker zwischen den drei Persönlichkeiten hin und her wechselt und jeder der drei Glaubwürdigkeit verleiht. Einmal mehr (nach der Sichtung des Gefängnisdramas Caged) musste ich mir ob der Verwandlungsfähigkeit Parkers die Augen reiben. Trotz einiger Ausrutscher ins Overacting ist ihr Spiel atemberaubend. Es gibt Szenen in diesem Film, wo sie praktisch übergangslos von einer Persönlichkeit in eine andere hinübergleitet, ohne Schnitt, mitten in einer Einstellung. Es scheint, als würde sie mitten im Spiel das Gesicht wechseln. Parkers verblüffende Darstellung allein würde einen schon an die Leinwand fesseln. Doch auch die anderen Darsteller, insbesondere Joan Blondell und Hugo Haas, der auch Regie führte, überzeugen. 

Hugo Haas

Lizzie macht deutlich, dass Haas ein durchaus begabter Regisseur war – Schauspielerführung war vielleicht nicht sein Ding, doch seine effektive Inszenierung mit kleinsten Mitteln kann sich sehen lassen. Auch er ist heute vergessen. Allerdings nicht in allen Teilen der Welt: In seiner alten Heimat hat der aus der ehemaligen Tschechoslowakei stammende Schauspieler und Regisseur noch heute einen Namen. Dort sind zumindest jene Filme noch zu sehen, mit denen er es vor seiner Flucht vor den Nazis zu beträchtlichem Ruhm gebracht hatte.
In den USA fing er wieder bei Null an, arbeitete sich nach oben, zuerst als Filmschauspieler in zahlreichen Nebenrollen, bis er die finanziellen Mittel für eine eigene, winzige Produktionsfirma beisammen hatte. Als unabhängiger Produzent konnte er als Autor, Regisseur und Darsteller in Personalunion mit kleinstem Budget und fernab der grossen Studios Filme herstellen -
insgesamt 15 wurden es zwischen 1951 und 1962. Viel später einmal wurde er von irgendeinem schreibenden Simpel mit Ed Wood verglichen (wahrscheinlich weil auch dieser gleichzeitig produzierte, Regie führte, die Drehbücher schrieb und in seinen Filmen schauspielerte). Dann könnte man Haas aber genauso gut auch mit Orson Welles vergleichen, der tat all das auch. Und es wäre genauso falsch: Haas reichte künstlerisch nicht Orson Welles heran. Derart grottenschlecht wie Ed Woods Werke waren die seinen aber beileibe nicht - wie man nach der Visionierung von Lizzie feststellen kann.

Lizzie ist einer von drei Filmen, die von Haas heute noch auf DVD zugänglich sind. Er ist als eine Art fiktionalisierender Aufklärungsfilm konzipiert, der versucht, dem Publikum das Phänomen der multiplen Persönlichkeitstörung näher zu bringen. Dabei orientiert er sich an einem Roman von Shirley Jackson, welche sich über die Verfilmung mit dem Verdikt „Abbott & Costello Meet Multiple Personality“ mockiert haben soll. Dass im selben Jahr mit The Three Faces of Eve ein grosses Studio einen gefälligeren, stromlinienförmigeren Film zum selben Thema herausbrachte der Lizzie in den Schatten stellte - nicht zuletzt, weil er mit einem Oscar dekoriert wurde - war Pech; Lizzie verschwand im Schlund des Vergessens. 

Lizzie vs Eve
Allerdings ist ein Vergleich der beiden Filme höchst interessant!

Genau wie Lizzie erzählt The Three Faces of Eve von einer jungen Frau, die zunächst ohne es zu wissen an einer dissoziative Identitätsstörung leidet und ebenfalls drei Persönlichkeiten hat. Die «Alltagsversion» von Eve ist zudem ebenfalls eine mausgraue, zurückgezogene Frau; hier ist sie Hausfrau und hat eine kleine Familie. Die «andere Eve», die nur sporadisch zum Vorschein kommt, ist eine vergnügungs- und männersüchtige Göre – genau wie in Lizzie. Und ebenfalls wie in Haas' Werk kommt am Ende eine dritte Persönlichkeit zum Vorschein – das lange verschüttete Original. Doch damit nicht genug: Three Faces of Eve folgt auch noch genau derselben Dramaturgie wie Lizzie!

Dass die Parallelen purer Zufall sind, schliesse ich aus; dafür sind es zu viele. "Aber laufen nicht alle Fälle von dissoziativer Identitätsstörung nach demselben Muster ab?", fragt man sich als psychologisch Unbedarfter. Doch diese These lässt sich nach einigen Internet-Recherchen ausschliessen.
Liegt demnach also irgendwo auf dem Weg von den beiden Buchvorlagen zu den Filmen eine Plagiatsgeschichte verborgen?

Shirley Jackson veröffentlichte den Roman, auf dem «Lizzie» basierte in demselben Jahr, wie die beiden Psychiater Corbett H. Thigpen und Hervey M. Cleckley ihre Untersuchungen jenes Falls publizierten, auf dem The Three Faces of Eve (Regie: Nunally Johnson) basierte. Jacksons Roman erschien nach der Studie.
Drehbuchautor/Regisseur Nunally Johnson brachte seinen Film in demselben Jahr heraus, in dem auch Hugo Haas' Film in die Kinos kam. 

Die Bücher: beide 1954; die Filme: beide 1957.
The Three Faces of Eve folgt wie erwähnt genau derselben Dramaturgie wie Lizzie. Er kam nach Lizzie in die Kinos. War Nunally Johnson das Drehbuch des anderen Films vielleicht bekannt, bevor er in die Kinos kam? Studiospionage war zwar nicht üblich, kam aber vor. Johnson müsste das Drehbuch gekannt haben, bevor Lizzie in Produktion ging und es dann ab- oder umgeschrieben haben.
Eine andere Vermutung klingt plausibler: Beide Vorlagen (die Bücher) beruhten auf demselben Fall. Shirley Jackson, eine Autorin von Horror- und Schreckensromanen, könnte denselben Fall gekannt haben, oder ihr Roman kupferte bei der Studie der beiden Psychiater ab– was in meinen Augen wahrscheinlicher ist, nicht zuletzt, weil die Studie vor dem Roman erschien und der Fall vorher öffentlich ziemlich sicher nicht bekannt war.
Anzeichen von Plagiarismus sind also nicht von der Hand zu weisen.

Wie auch immer der Fall gelagert gewesen sein mochte - wir stehen vor dem seltenen Phänomen, zwei Filme desselben Jahrgangs zur gleichen Geschichte zu haben - der eine ein Klassiker, der andere vergessen. 

Lizzie ist heute ist auf einer DVD der „Warner Archive Collection“ aus den USA wieder
greifbar – zum Glück, denn schlecht ist er keinesfalls!
Natürlich kenne ich die Romanvorlage nicht, aber ich glaube, man darf sagen, dass der Film, für sich genommen, gelungen ist. Der Zugang zum Thema überzeugt, das Thema steht nackt, ohne in überflüssigen konventionellen Schnickschnack wie Lovestory oder Krimihandlung verpackt zu sein, im Mittelpunkt.
Lizzie wirkt, das wurde bereits erwähnt, wie ein Aufklärungsfilm zum Thema - freilich ohne die distanzierende Haltung dieses Genres.
Sein grösster Pluspunkt aber ist dies: Er handelt das schwierige Thema auf einer den Zuschauer involvierenden, zutiefst menschlichen Ebene ab. Am Ende steht die Erkenntnis, dass die menschliche Seele
ein zerbrechlicher Schatz ist. Der Schluss kommt, jenseits des Aufklärungsduktus und ganz unaufdringlich, einem Appell an die zwischenmenschliche Achtsamkeit gleich. Dieser geht unter die Haut und wirkt nach.
Und dieser Aspekt ist es, der The Three Faces of Eve abgeht und ihn somit vom Verdacht, sein Thema auszubeuten, nicht befreit.





 Michael Scheck

Montag, 1. Juni 2020

The Devil to Pay (1930)


Eine vergessene Filmkomödie  

The Devil to Pay (USA 1930)
Mit Ronald Colman, Loretta Young, Frederick Kerr, David Torrence, Myrna Loy, Florence Britton, Paul Cavanagh u.a.
Drehbuch: Frederick Lonsdale und Benjamin Glazer
Regie: George Fitzmaurice
Genre: Komödie
Studio: The Samuel Goldwyn Company
Kino/TV-Auswertung im deutschsprachigen Raum: keine
Dauer: 72 min
Farbe: s/w

Willie Hale (Ronald Colman), ein charmanter Lebemann aus reichem Londoner Hause, ist das schwarze Schaf der Familie. Dank seinem Charme und seinen kommunikativen Fähigkeiten gelingt es ihm nach jedem Fehltritt, alle Geschädigten wieder zu besänftigen - inklusive des unnachgiebigen Familienpatriarchen (Frederick Kerr).
Als er die bezaubernde Dorothy Hope (Loretta Young) kennenlernt und sich verliebt, nimmt sein Leben plötzlich eine irritierende Wendung: Es geht in Richtung Momogamie...


Das Interessante an diesem Film ist nicht die Handlung; so oder ähnlich verlaufen viele romatische Komödien. Obwohl das Drehbuch mit geschliffenen Dialogperlen glänzt, obwohl die gesamte Schauspieltruppe ihre Sache ausnahmslos hervorragend macht, stehen auch sie nicht im Zentrum des Interesses. Wohl ist der Film höchst amüsant und von Anfang bis Ende unterhaltsam, von grosser Bedeutung ist er aber nicht.

Das Interessanteste an The Devil to Pay ist die Handhabung der damals noch in den Kinderschuhen steckenden Tontechnik. 

Wer Filme aus jener chaotischen Periode kennt, weiss, wie unglaublich statisch und gleichzeitig geschwätzig sie sein konnten.
Dies war dem Umstand geschuldet, dass die klobigen Mikrophone praktisch unbeweglich waren und irgendwo direkt vor den Akteuren aufgebaut werden mussten, dies
aber
möglichst versteckt. Was dazu führte, dass die Schauspieler - im Gegensatz zum Stummfilm - plötzlich nur noch wenig Bewegungsfreiheit hatten. Das Bild gefror zu Beginn der Tonfilmaera zum statischen Tableau. Und der Wunsch des Publikums nach dem gesprochenen Wort führte zu unglaublicher Geschwätzigkeit. Erschwerend kam hinzu, dass die Kameras in schalldichte Kabinen verpackt wurden, damit ihr Gesurre auf der Tonspur nicht zu hören war.Auch von dieser Seite war also kaum Bewegung möglich.
Ambitioniertere Regisseure versuchten, gegen die Statik, die der Stummfilm übrigens kurz zuvor mit einigen signifikanten technischen Verbesserung überwunden hatte, anzukämpfen, und wenn man sich diesen Film anschaut, kommt man zum überraschenden Schluss, dass der heute kaum mehr bekannte George Fitzmaurice zu diesen gehört haben musste. 

The Devil to Pay wirkt moderner als viele der Lichtspiele aus demselben Jahr. Es gibt Kamerafahrten, Uebergänge von drinnen nach draussen und es gibt sogar Begleitmusik. Man könnte glauben, der Film sei 1935 entstanden, wären da nicht einige Irritationen, die aber samt und sonders mit der noch unausgereiften Tonqualität zu tun haben. So werden etwa die Dialoge immer, wenn Begleitmusik zu hören ist, fast unverständlich. Die frühe Tontechnik konnte die Gleichzeitigkeit zweier verschiedener Tonquellen noch nicht bewältigen, weshalb man in den meisen Streifen jener Zeit einfach die Musik wegliess. Es wurde aber experimentiert und so dauerte es nicht lange, bis eine Lösung gefunden war. Es gibt eine Sequenz, in welcher die Hauptprotagonisten im offenen Cabriolet durch eine stark befahrene Strasse holpern und singen. Der Gesang klingt unnatürlich hohl, weil er offensichtlich über den Verkehrslärm drübersynchronisiert wurde. Die Abmischung beider Tonquellen dürfte für die damalige Zeit ein deutlicher Fortschritt gewesen sein - aus heutiger Sicht wirkt die Sequenz eher dürftig.
Das Bestreben, die Statik zu vermeiden, die mit Aufkommen des Tons plötzlich im Film Einzug hielt, ist in The Devil to Pay deutlich zu spüren, ebenso die Kompromisse, die auf verschiedenen Ebenen gemacht werden mussten, um dieses Ziel zu erreichen. Und doch ist die Tonqualität, bis auf die erwähnten Ausnahmen, im Durchschnitt deutlich besser als in anderen "Talkies" jener Zeit, gerade in den bewegten Sequenzen.


Regisseur Fitzmaurice hatte immerhin zwei heute durchaus noch bekannte Filme auf seinem Konto. Zum einen den Stummfilm Son of the Sheik mit Rudolf Valentino (1926), zum anderen den Garbo-Klassiker Mata Hari (1931) - ganz so unbekannt wie ich zuerst dachte, ist er also nicht. Immerhin hatte er zwischen 1914 und 1940 über 80 Filme gedreht. Die meisten davon sind heute vergessen oder nur noch den eingefleischen Fans des alten Hollywood bekannt. The Devil to Pay ist somit eine kleine Entdeckung, die ein Schlaglicht auf einen Regisseur wirft, der gemeinhin unter dem Radar der Filmhistorie bleibt. Dass er der Wiederbelebung der damals kurzzeitig in Vergessenheit geratenen cinèmatografischen Errungenschaften des Stummfilms Vorschub leistete, dürfte nicht bekannt sein - und lässt ihn in keinen schlechten Licht erscheinen.


Zu dieser Thematik (frühe Tonfilme) werde ich mir demnächst auch Ernst Lubitschs ein Jahr vorher entstandenes Musical The Love Parade vornehmen. Bin mal gespannt, wie Lubitsch die Ton-Probleme gemeistert hatte...


The Devil to Pay ist dank der witzig-prickelnden Dialoge des britischen Theaterautors Frederick Lonsdale (der hiermit sein erstes Drehbuch verfasste) ein Film geworden, der bereits die Screwball-Komödien der mittleren Dreissigerjahre ankündigt. Interessant ist zudem, dass er in England spielt und die männlichen Rollen alle mit britischen Schauspielern besetzt sind - während die drei Hauptdarstellerinnen aus den USA stammten. So wirkt der Film tatsächlich wie eine importierte britische Gesellschaftskomödie.
Zur Frühzeit des Kinos (vom Stummfilm bis etwa zur Mitte der Dreissigerjahre) war es nichts Aussergewöhnliches, wenn ein amerikanischer Film in einen anderen Land spielte: Ob Deutschland, Russland, Frankreich, China oder England - es gab im Filmgeschäft Hollywoods genügend Immigranten aus jenen Ländern, die zumindest hinsichtlich des nationalen Kolorits für eine gewisse Authentizität sorgen konnten. Später konzentrierte sich das US-Kino dann stärker auf amerikanische Themen, möglicheweise aus Renditegründen.

Ohne die erwähnten Tonprobleme liesse sich The Devil to Pay als entspanntes Lust-Spiel durchaus noch heute geniessen. So ist er immerhin noch für filmhistorisch Interessierte von Belang. Trotz seiner geringen Bekanntheit ist er auf einer DVD zu haben, genauer: einer DVD-R (manufactured on demand) der Warner Archive Collection. Regionalcode 0.
Die Bild- und Tonqualität sind ganz gut, aber die Vorlage war wohl ein 35mm- oder gar 16mm-Dupe. Was Angesichts der sonst sehr guten Bildqualität der Warner Archive-DVDs zur Vermutung führt, dass keine Originalkopie des Films mehr auffindbar war.


Michael Scheck

Bernhard und Bianca - Die Mäusepolizei (The Rescuers, 1977)

Regie: Art Stevens, John Lounsbery, Wolfgang Reitherman Drehbuch: Ken Anderson, Larry Clemmens, frank Thomas u.a. Stimmen von Eva Gabor, Bo...