Freitag, 5. Juni 2020

Was der Himmel erlaubt (All that Heaven Allows, 1955)


All that Heaven Allows (dt.: Was der Himmel erlaubt, 1955)
Mit Jane Wyman, Rock Hudson, Agnes Moorehead, Gloria Talbott, William Reynolds, Conrad Nagel, Charles Drake, Hayden Rorke u.a.
Drehbuch: Peggy Thompson nach einer Story von Harry und Edna L.Lee
Regie: Douglas Sirk
Genres: Drama, Romanze
Studio: Universal
 
Kino/TV-Auswertung im deutschsprachigen Raum: Kino-Premiere im Juni 1956
Dauer: 89 min
Farbe: color

Die Witwe Cary Scott (Jane Wyman) lebt nach dem Tod des Ehemannes mit ihren inzwischen erwachsenen Kindern in ihrem grossen Haus in einer typischen amerikanischen Kleinstadt New Englands. Das Leben nimmt seinen Lauf, sie ist eingebettet in den Kreis ihrer reichen Freunde, nimmt - stellvertretend für ihren verstorbenen Mann - an deren Partys teil, wo sie von heiratswilligen älteren Freunden ihres Gatten Anträge gemacht bekommt. Sie lehnt diese stets mit der Begründung ab, noch nicht so weit zu sein. Als es aber plötzlich doch funkt, ist es der Gärtner Ron Kirby (Rock Hudson), der ihre Gunst erlangt. Und das nimmt man Cary übel - denn der Typ gehört nicht derselben Gesellschaftsschicht an und ist zudem viel jünger als die Witwe.
Der "Freundeskreis" entpuppt sich ob dieser Ungeheuerlichkeit endgültig als der Tratsch- und Giftspritzenklub, der er unterschweillig immer war, Cary wird gnadenlos durchgehechelt, gedemütigt und aus dem erlauchten Kreis ausgestossen. Doch auch ihre Kinder wenden sich gegen sie und ihren Ausbruchsversuch aus der Gutbürgerlichkeit.


Viel ist gerühmt und besungen worden, wie bissig der Regisseur die Welt der konservativen reichen Kleinstädter seiner Zeit in diesem Film attackiere, wie gnadenlos er dessen Ignoranz und Doppelmoral aufzeige.
Doch Moment: Nur der Regisseur? Es gab zu diesem Film ein Drehbuch von Peggy Thompson, diesem ist Douglas Sirk gefolgt. Die "Attacke", die Kritik an der amerikanischen Gesellschaft stand da bereits drin.
Das Projekt hatte er sich auch nicht selbst ausgesucht - es wurde ihm vom Produzenten Ross Hunter zugetragen - aufgrund des grossen Erfolges eines anderen Sirk-Hudson-Wyman-Erfolges (Magnificent Obsession, 1954), dieser sollte möglichst wiederholt werden.


Die Problematik, sämtliche Meriten eines Films allein dem Regisseur zuzuschreiben, kam in den Sechziger- und Siebzigerjahren auf, als von den Filmjournalisten beliebte Regisseure als "auteurs" bezeichnet wurden; in vielen Fällen entpuppte sich dies als Irrtum - trotzdem hält sich diese Vorstellung noch immer hartnäckig. Sie kehrt die Leistungen anderer Beteiligter allerdings unter den Teppich. Man sollte in Fällen wie diesem schon unterscheiden und den Regisseur von der Vorlage trennen. Natürlich gibt des die Regisseur-Autoren auch, doch sie waren im US-Kino jener Jahre in der Minderzahl.

Sirk kam die Vorlage der Autorin Peggy Thompson entgegen und er verstärkte die dem Skript immanente Kritik durch
Sirk (sitzend) mit dem Cast des Films
seine Inszenierung. Er fand aussagekräftige Bilder, wie das vom Fernseher, der Cary als Beziehungsersatz in die gute Stube gestellt wird und in dem ihr Spiegelbild zur Leblosigkeit erstarrt.
An anderen Stellen betont er die Gefangenschaft Carys in der rigiden Norm ihrer Gesellschaftsschicht durch buchstäbliches "einmauern" ihrer Gestalt hinter irgendwelchem schattenhaften Gitterwerk. In einer Stelle trägt sie eine Kopfbedeckung, die an eine Dornenkrone erinnert, just bevor deutlich wird, dass sie von den anderen zum Wohle der Gesellschaft "geopfert" werden soll.
Die Beispiele liessen sich fortsetzen, der Film ist mit Symbolik geradezu aufgeladen.
Sirk übt Kritik, es ist nicht seine Kritik, aber er eignet sie sich an, indem er sie übers Bild verstärkt und kommentiert. Seine Kunst liegt in der Inszenierung, in der Regieführung, er ist bedingt der "auteur", als den ihn seine Vereher (zu denen Rainer Werner Fassbinder ebenso gehört wie Pedro Alomodovar) gern sehen wollen. In der Regie zeigt er eine ganz eigene Handschrift. Die Bildkompositionen und vor allem die Farbdramaturgie und die farblich ungewöhliche Ausleuchtung der Räume, die er für diesen Film entwickelt hat, war stilbildend und hat andere Regisseure (hier müssen wieder Fassbinder und Almovodar erwähnt werden) zur Nachahmung und Weiterentwicklung animiert.
Hier als Beispiel ein kurzer Ausschnitt aus dem Film:


Damit steht Sirk im Widerspruch zu seinem früheren Kompagnon Billy Wilder, der einmal sinngemäss sagte, das Wichtigste an einem Film sei das Drehbuch; künstlerisch ausgeklügelte Bilder würden den Zuschauer nur vom Wesentlichen ablenken.
In der Regel schliesse ich mich dieser Sichtweise an, weiss aber eine gute Inszenierung durchaus zu schätzen.

Und damit kommen wir zum Drehbuch. So durchdacht, spannend und künstlerisch wertvoll Sirks Inszenierung ist, das Drehbuch kann mit diesem Niveau nicht Schritt halten. Scharfsichtige Gesellschaftskritik ist das eine, die Befähigung zu schreiben, etwas anderes.
Gegen Ende hin machen sich einige dramaturgische Schwachstellen deutlich bemerkbar, welche die Freude am Film eintrüben. Der Rückzug Carys aus der Beziehung mit Ron etwa ist wenig glaubwürdig; sie begründet ihn zwar mit der Angst vor dem Beziehungsverlust zu ihren Kindern, doch diese benehmen sich den ganzen Film über derart widerwärtig

egoistisch und sind zudem dem Nest schon soweit entschlüpft, dass diese Wendung eher der damaligen Hollywood-Konvention geschuldet erscheint als einem glaubwürdigen Erzählstrang. Das Dilemma löst sich dann auf fast ebenso unglaubwürdige Weise plötzlich wieder auf, als die Kinder ihre Auszugspläne aktiv in Angriff zu nehmen beginnen. 
Cary kehrt noch zweifelnd zu Ron zurück, kehrt abrupt wieder um, als sie diesen bei sich zu Hause nicht antrifft, er stürzt über einen Felsen, schwebt ein wenig zwischen Leben und Tod, was sie dann endgültig überzeugt, zu ihm zurückzukehren. Ein Ende wie von einem Filmschüler geschrieben. 

In einem wirklich grossen Film sind neben der Regie auch das Drehbuch und die schauspielerischen Leistungen erstklassig. Das kann man hier leider nicht behaupten. Das Drehbuch ist - von den eben erwähnten Schwächen abgesehen - bestenfalls solide (herausragende Dialogpassagen und erzählerische Raffinesse etwa sucht man vergebens), und auch von den die schauspielerischen Leistungen lässt sich nichts anderes sagen.
Sirk wäre wohl der ideale Regisseur für eine Hollywood-Verfilmung eines Tennessee-Williams-Stoffs gewesen. Da hätte er eine Vorlage gehabt, die auf literarischer Ebene seinen Qualitäten als Regisseur entsprochen hätte. Zudem hätte sein Stil perfekt zur Zerissenheit der williams'schen Welt gepasst.
Erst Jahre später, zurück in Deutschland, verfilmte Sirk, zusammen mit Studenten der Filmschule München, dann tatsächlich zwei Einakter des amerikanischen Dramatikers: Talk to me Like the Rain (1974) und Burbon Street Blues (1978). In letzterem wirkte Rainer Werner Fassbinder als Schauspieler mit.


Sirk, der immer wieder als Meister des Melodramas appostrophiert wird, betonte, das Melodrama sei jenes Genre, in welchem sich Gesellschaftskritik am besten verwirklichen lasse. Allerdings verwässert gerade das Melodrama Kritik oft durch die Konzentration auf Gefühle und Gefühligkeit. Diese Attribute werden von Kritikern gerne als verlogen gebrandmarkt.
Doch obwohl auch Sirk diesbezüglich kräftig auf die Tube drückt (Einsatz schwülstiger Orchestermusik und Kunstschnee-Naturbilder mit herzigem Rehlein), hier gilt das Kritiker-Verdikt ulkigerweise nicht. Ist es etwas anderes, wenn gleichzeitig das Establishment kritisiert wird? Ich wüsste nicht, weshalb. Kitsch ist Kitsch.


All that Heaven Allows ist auch bei uns auf Blu-ray und DVD zu haben (Sprachen: Deutsch & Englisch, entsprechende Untertitel) mit sehr guter Bild- und Tonqualität.
Extras:
Trailer / Audiokommentar mit Filmwissenschaftler Dr. Werner Kamp & Christian Bartsch / Booklet von Michael Scholten / isolierte Tonspur mit Soundeffekten und der Filmmusik von Frank Skinner.

Michael Scheck

4 Kommentare:

  1. Mit Rock Hudson habe ich auch ein paar Filme früher gesehen :)

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    1. Ich habe den immer etwas gemieden, da ich ihn für einen Schönling ohne Talent hielt.
      Das Urteil konnte ich mit der Sichtung dieses Films noch nicht wirklich revidieren...

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    2. Vielleicht solltest Du dir mal SECONDS von Frankenheimer ansehen. Aber vielleicht auch nicht. Ich weiß es wirklich nicht, denn THE MANCHURIAN CANDIDATE mochtest Du ja nicht, und SECONDS kommt dem in Frankenheimers Werk wohl am nächsten. Wobei ich den auch wieder mal sehen müsste, nach nur einer TV-Sichtung vor vielen Jahren. Wie ich sehe, habe ich wieder mal die Auswahl zwischen Criterion und Masters of Cinema. Ha, ich liebe dieses Luxusproblem!

      Jedenfalls agiert Rock Hudson in SECONDS fernab seiner sonstigen Rollen zwischen Jane Wyman und Doris Day.

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    3. Doch, "Seconds" steht bei mir an, den will ich unbedingt sehen - gerade weil Hudson dort eine ganz anders Rolle hat, interessiert mich der Film sehr.
      Und Frankenheimer ist ein grandioser Regisseur - "Manchurian"-Enttäuschung hin oder her...!

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