Sonntag, 23. August 2020

Seh-Empfehlung 7: Stürmische Höhen (Wuthering Heights, 1939)



Wuthering Heights (dt.: Stürmische Höhen, 1939)
Mit Merle Oberon, Laurence Olivier, Flora Robson, David Niven, Geraldine Fitzgerald, Leo C. Carroll, Hugh Williams, Donald Crisp, Cecil Kellaway u.a.
Drehbuch: Charles MacArthur und Ben Hecht nach dem Roman von Emily Brontë
Regie: William Wyler
Produzent: Samuel Goldwyn

Kamera: Gregg Toland
Musik: Alfred Newman
Studio: The Samuel Goldwyn Company
Kino/TV-Auswertung im deutschsprachigen Raum: Juli 1950
Dauer: 104 min

Farbe: schwarzweiss


Es waren zwei Königskinder, die hatten einander so lieb. Sie konnenten beisammen nicht kommen, das Wasser war viel zu tief.
- Volkslied

Diese uralte Ballade ging mir beim Betrachten dieser Verfilmung von Wuthering Heights nicht mehr aus dem Sinn.
Das eine Königskind, Cathy (Merle Oberon), wächst als Tochter eines begütertern Vaters
(Cecil Kellaway) auf dem Hof "Wuthering Heights" auf. Das andere wird Heathcliff genannt (Laurence Olivier) - ein Junge, den der Vater eines Tages auf den Strassen Liverpools aufliest und adoptiert.
Cathy und Heathcliff spüren von Beginn weg eine starke Verbindung; im felsigen Umland spielen die beiden Königskinder - noch als junge Erwachsene - und tun so, als wäre Heathcliff von adligem Geschlecht, der verlorene Sohn eines indischen Königs.

Als Erwachsene steht Cathy zwischen Heathcliff, der seit dem Tod des Vaters als Stallbursche auf dem Hof arbeiten muss und Edgar (David Niven), einem adligen Gentlemen aus der Nachbarschaft, der sie umwirbt. Heathcliff ist überzeugt, dass Cathy und er eins sind und sie zusammengehören, während sie von ihren Launen hin und her gerissen wird.
Wegen eines dummen aber fatalen Missverständnisses, glaubt Heathcliff, Caty verloren zu haben und verschwindet just in dem Moment, als sie sich für ihn entschiedet. Als er nach Jahren reich, aber verbittert aus Amerika zurückkehrt, ist Cathy längst Teil der oberen Gesellschaftsschicht, unentrinnbar gefangen und verstrickt in deren Konventionen.


Sternstunde
In der Nacherzählung klingt das trivial. Die Vorlage ist es bestimmt nicht - und der Film, obwohl er sich stark von
Emily Brontës Roman entfernt, auch nicht. Er nimmt den Geist der Vorlage auf, befreit dessen tragische Liebesgeschichte von einigen Nebenhandlungen und -figuren und erzählt sie so meisterhaft, dass sie mehr ist als eine weitere Hollywood-Liebesschnulze. 
Liebhaber des Romans schütteln möglicherweise den Kopf über all die Änderungen, doch wer bereit ist, sich darauf einzulassen, wird einen unvergesslichen Filmabend erleben. Im Fall von Wuthering Heights ist es besser, man liest den Roman erst nach der Sichtung des Films.
Angesichts der komplexen und figurenreichen Vorlage grenzt es an ein Wunder, dass es in Wylers Film zu keinen nennenswerten Unstimmigkeiten kommt. Einzig die Figur des Hindley, Cathys versoffener und übellauniger Bruder, sorgt für kurzfristige Irritationen, weil einerseits kein Grund für die Alkoholsucht dieses verlorenen Charakters erkennbar wird, und weil er andererseits plötzlich für eine geraume Zeit von der Bildfläche verschwindet und man sich zu fragen beginnt, wo er denn eigentlich steckt.


Trotz dieser kleinen Irritationen:
Ich kann mir keine bessere Verfilmung als diese vorstellen - und es gibt deren etwa 20 (Fernsehfilme und Miniserien mit eingeschlossen). Auch wer die Vorlage kennt, wird vom perfekten Zusammenspiel aller am Film Beteiligten verzaubert werden. Dank des Gestaltungswillens des Regisseurs haben sie etwas erschaffen, was ich eine Sternstunde des Kinos nennen möchte
Vertieft man sich allerdings in dessen Entstehungsgeschichte, dann wundert man sich, wie es überhaupt soweit kommen konnte! Bis jedes Steinchen in dem grossen Mosaik, das diesen Film ausmacht, schliesslich am genau richtigen Ort lag, brauchte es einige Umwege und Irrungen.

Mosaiksteinchen
Am Anfang war das Drehbuch. Produzent Walter Wanger konnte nichts damit anfangen und wollte es loswerden. Star-Regisseur William Wyler erkannte das Potential des Stoffes und drängte den Produzenten zum Kauf. Damit war er als Regisseur gesetzt.
Wyler wollte die Vorlage mit Bette Davis in der Hauptrolle verfilmen. Doch Goldwyn schlug Merle Oberon vor - damit lag ein weiteres Steinchen am richtigen Platz.
Die Besetzung des Heathcliff war schwieriger. Ronald Colman, Douglas Fairbanks Jr. und Robert Newton waren im Gespräch - nicht auszudenken, was der Film mit einem von ihnen in der Rolle geworden wäre!
Da kam Goldwyn auf Laurence Olivier. Der britische Schauspieler hatte nach einem Misserfolg in Hollywood beschlossen, sich vom Film ab- und sich ausschliesslich der englischen Bühne zuzuwenden, wo er inzwischen zum Star avanciert war. Er war überzeugt, dass die Bühne sein Zuhause war. Zudem war er gerade in eine heftige Affäre mit der britischen Schauspielerin Vivien Leigh involviert und wollte England nicht verlassen.

Wyler, der auf Goldwyns Vorschlag nach England gereist war, um sich Olivier auf der Bühne anzusehen und der in diesem seine Idealbesezung des Heathcliff gefunden zu haben glaubte, schlug Goldwyn vor, Vivien Leigh eine Nebenrolle im Film anzubieten, um Olivier über den grossen Teich zu locken. Doch diese schlug das Angebot aus. Sie wollte die Hauptrolle oder gar nichts. 
Schliesslich war sie es, die Olivier überzeugte, "die einmalige Gelegenheit zu ergreifen", welche dieses Filmprojekt in ihren Augen bot. Olivier gab nach - ein weiteres wichtiges Steinchen lag an seinem Platz.
Mirakulöserweise fand dadurch ein Steinchen zu einem anderen Film-Mosaik seinen Platz: Als Vivien Leigh ein paar Monate später in die USA reiste, um Olivier zu besuchen, wurde sie dem Produzenten David O. Selznick vorgestellt. In ihr fand Selznick endlich die lang gesuchte Hauptdarstellerin für ein ambitioniertes Grossprojekt namens Gone With the Wind (dt.: Vom Winde verweht)! Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden...

Hinter den Kulissen
Von Harmonie am Set von Wuthering Heights kann nicht berichtet werden - obwohl der fertige Film diesen Eindruck erweckt. Einvernehmlich ging es offenbar nur zwischen Regisseur Wyler und Kameramann Gregg Toland zu und her - die beiden hatten bereits mehrere Filme miteinander gedreht und verstanden sich ohne Worte.
Mit Wyler zu arbeiten war für die Schauspielerinnen und Schauspieler zu allen Zeiten schwierig, weil der Perfektionist Szenen bis zu 40 Mal in verschiedenen Variationen wiederholen liess, um danach am Schneidetisch eine gute Auswahl zu haben. Als Laurence Olivier deswegen einmal ausrastete und Wyler anschrie, er solle ihm endlich sagen, was er denn eigentlich wolle, überlegte dieser kurz und antwortete dann ganz ruhig, er wolle die Szene eigentlich nur besser.
Olivier sass zu jener Zeit auf dem hohen Ross und hielt sich für unglaublich gut. Einmal schleuderte er Wyler nach einer weiteren Intervention entgegen: "Ich vermute, dieses blutleere kleine Medium verträgt sich nicht mit hervorragendem Schauspiel!"
Seine Filmpartnerin Merle Oberon beschimpfte der junge britische Star-Schauspieler, nachdem sie sich über seine feuchte Aussprache beschwerte, mit "you amateur little bitch" und "you bloody little idiot, how dare you speak to me?"

Produzent Sam Goldwyn holte Olivier eines Tages von seinem hohen Ross herunter, indem er ihm vor versammelter Crew die Leviten las und ihm mit Entlassung drohte, falls er weiterhin nicht bereit sei, an seinem Spiel zu arbeiten.
Jahre später gab Olivier zu, dass Wyler ihm mit der Arbeit an diesem Projekt die Augen für die Möglichkeiten des Films geöffnet habe und er von diesem Wichtiges gelernt habe. Olivier wünschte sich Wyler gar als Regisseur für seine Shakespeare-Adaption Henry V (1944), für die er wegen Wylers Unabkömmlichkeit schliesslich selbst die Regie übernahm. Und 1953 stand Olivier für den Film Carrie nochmals vor Wylers Kamera.

William Wyler
Wylers Perfektionismus war gefürchtet und gehasst - doch er hat damit eine Fülle von wunderbaren, grossartigen Kinowerken geschaffen und zählt heute zu den geschätztesten US-Regisseuren vieler Cinéasten. Er bohrte und schraubte so lange an jedem Detail, bis alles bis ins Kleinste stimmte. Man wird in seinen Filmen nicht eine einzige schlechte schauspielerische Leistung finden - auch nicht in kleinen Nebenrollen!
Für Wuthering Heights arbeitete er mit einer Truppe ausschliesslich britischer Akteuren und Aktricen. Dem Verdikt einiger Kritiker, die Merle Oberons Leistung in der Hauptrolle als inadäquat bezeichnen, wiederspreche ich nach der Sichtung vehement: Sie fügt sich mit ihrem Spiel nahtlos ein ins hohe Niveau der restlichen Crew, ja sie trägt Wesentliches dazu bei, die Zuschauer emotional zu involvieren. Und die Chemie mit Laurence Olivier erscheint perfekt - man glaubt kaum, dass die beiden sich hinter den Kulissen nicht grün waren.


Dank Wylers Gestaltungwillen gehört Wuthering Heights heute zu den grössten Liebesdramen des Kinos. Und auch wenn Produzent Samuel Goldwyn gegen den Willen des Regisseurs einen eigenen Schluss hinzufügte, schadete er dem Film keineswegs; Goldwyns Schluss passt zwar nicht zur Vorlage, dafür perfekt zur Stimmung des Films.

Wuthering Heights ist hierzulande auf DVD erhältlich.



Michael Scheck


Bewertungen: 
imdb.com: 7,6 / 10 (15 973 Stimmen)
Letterboxd.com: 3,5 / 5 (4609 Stimmen)
Meine Wertung: 10 / 10

3 Kommentare:

  1. A great piece of writing. I appreciated having context based around the film's production and the careers of those who worked on the film. It's always nice to read a review from somebody who is passionate about the film they are covering. Clearly you liked this one a bit more than I did. I can see how the film works to a degree and I am sure it was very difficult to adapt the famed Bronte novel but I had always felt that one of the things that made the novel such a great romantic tragedy was that we saw the suffering of the children born out of the impossible love affair at the center of the story. We don't really see the impact that Heathcliff's madness has on their child in later years and the film does not go far enough in illustrating how Cathy adopts the views of those around her and comes to look down on Heathcliff. I am one of those unfortunate people who thinks that Oberon is a problem as she and Olivier don't have much chemistry and she frequently comes across as wet behind the ears rather than being a woman with strong desires trying to assert herself in a world that places restrictions upon her. The cinematography is highly impressive though and Geraldine Fitzgerald makes a great Isabella with all of her vicious resentment and insecurity. I can see how somebody could love the film and it's good that it really resonated with you. It's still worth watching because it was such an influential film and as you said it is probably still the best film adaptation of the book.

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  2. Thank you for your valued remarks, Catherine.
    From what you wrote I suppose you have read the novel - which probably alters the impact this films makes on the viewer.
    To me, without beeing able to compare, "Wuthering Heights" seems perfect - in every aspect of filmmaking.

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    1. It's a great technical achievement and it has that unmistakable Wyler polish that made so many of his films look stunning. I do think it might have been easier to accept the film for what it is if I had not read the novel before seeing it. This is often the case as I always find myself applying extra scrutiny when I watch a film adaptation of a book I loved. In some ways the film is better than the book and your review of it did encourage me to watch it again.

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