Sonntag, 6. März 2022

Seh-Empfehlung 33: Das unheimliche Fenster (The Window, 1949)

Nach vielen vergeblichen Versuchen, einen guten Film zu sehen (siehe Anhang unten), ist es mir nun endlich gelungen, wieder einmal ein empfehlungswürdiges Kinowerk auszumachen: The Window von Ted Tetzlaff (Regie) und Mel Dinelli (Drehbuch).
Er bringt eine (weitere) Variation jener sattsam bekannten Geschichte des Jungen, der spasseshalber das Dorf vor dem Wolf warnte, und dem niemand glaubte, als der Wolf dann wirklich kam. 

Tommy, ein phantasiebegabter Junge aus dem New Yorker Arbeitermilieu der späten Vierzigerjahre (Bobby Driscoll) hat seine Eltern (Arthur Kennedy und Barbara Hale) schon öfters mit seinen Lügengeschichten in Schwierigkeiten gebracht. Als er Zeuge wird, wie das als nett geltende Ehepaar Kellerson (Paul Stewart und Ruth Roman), das im selben Block wohnt, einen Mann ermordet, glaubt niemand seiner Erzählung.
So weit, so bekannt. Auch "so langweilig"? Nein, denn nun kommt eine Kette von Ereignissen in Gang, welche dazu führt, dass die bislang ahnungslosen Kellersons von Tommys Mitwisserschaft erfahren. Als Tommy eine Nacht allein zu Hause verbringen muss, sehen sie die Gelegenheit für gekommen, den Zeugen aus dem Weg zu räumen.

Die grösste Stärke des Filmes ist das Erzählen aus der Kinderperspektive. Sämtliche Erwachsenen, sogar die eigenen Eltern, erscheinen dabei als übermächtige Gegenspieler und Feinde. Alle sind auf die eigene Reputation bedacht, die in ihren Augen darunter litte, würden sie den Spinnereien eines Kindes Glauben schenken. Auf seinem eigenen Spielplatz - einem halb verfallenen mehrstöckigen Nachbarhaus, in dem er sich auskennt - gelingt es Tommy schliesslich ohne Hilfe der "Grossen", seine Verfolger unschädlich zu machen.

Man merkt dem Film an, dass Regisseur Tetzlaff früher Kameramann war - seine Schwarzweisskompositionen sind eine Augenweide und erzeugen mittels oft ungewohnter Perspektive eine untergründige Spannung.
Die Figuren sind gut gezeichnet und vor allem hervorragend gespielt, wobei in erster Linie Kinderstar Bobby Driscoll hervorzuheben ist, der hier eine erstaunlich reife und glaubhafte Leistung abliefert (er wurde dafür 1950 mit einem Spezial-Oscar für Kinderdarsteller
ausgezeichnet), aber auch Paul Stewart und Ruth Roman als zwieliechtiges Paar liefern präzise und absolut wasserdichte Leistungen ab.

The Window ist ein kleiner Film (er dauert gerade mal 73 Minuten), der mit bescheidenem Budget grösstmögliche Wirkung erzielt. Obwohl er lange Zeit in Vergessenheit geraten war, zählt er zu den stärksten Vertretern des amerikanischen Film-Noir.

For the record:
Bevor ich bei The Window hängen geblieben bin, habe ich folgende Filme abgebrochen: 

- Belfast (2021)
Ich finde es problematisch, noch nicht weit zurückliegende historische Ereignisse, über die Dokumentarfilmmaterial und detaillierte schriftliche Berichte zu Hauf existieren, zu einem Spielfilm zu verarbeiten. Erstens: What's the point? Zweitens wirkt hier alles künstlich und gestellt. Gut inszeniert, aber komplett sinnlos...

 - Finch (2021)
Schlecht gemacht ist dieser Weltuntergangs-Science-Fiction ja nicht; Tom Hanks spielt sehr gut und der Roboter Jeff ist bisweilen köstlich. Aber der depressive Grundton des Films ging mir dann je länger je stärker derart gegen den Strich, dass ich aufhörte, gegen meine Zweifel anzukämpfen und abbrach.

- The Girl on the Train (2016)
Die Verfilmung von Paula Hawkins' gleichnamigem Erfolgsroman ist eine frustrierende Angelegenheit. Auf Effekte getrimmt, gibt er sämtliche Geheimniss der Hauptfiguren schon zu Beginn preis und krempelt so die Struktur der Vorlage - zugunsten billiger Effekthascherei - komplett um. Was den Roman so interessant macht, wird hier einfach über Bord geworfen.

- Rush: Alles für den Sieg (Rush, 2013)
Die Rivalität zwischen den beiden Formel1-Fahrern
James Hunt and Niki Lauda als Film - das mag vielleicht für Formel1-Fans von Interesse sein. Ich fand's aufgrund plakativer Charakterzeichnung nur langweilig. Im übrigen gilt hier im Prizip dasselbe, was ich schon bei meiner Kritik an Belfast geäussert habe (s. oben)...

- Der Mann, der König sein wollte (The Man Who Would Be King, 1975)
Vielgelobter Abenteuerfilm von John Huston. Ich hatte keine Lust, den beiden grund-unsympathischen Hauptfiguren über zwei Stunden durch ihre menschenverachtenden Betrügereien zu folgen.


- Der siebte Geschworene (Le septième juré, 1962)
Ein mit prätentiösem Gebaren kredenzter französisches Psycho-Drama um einen bislang respektablen Apotheker, der im Affekt eine junge Frau umbringt. Unsäglich hochtrabend, schon nach 15 Minuten hatte ich das artifizielle Getue satt. Einmal zeigt sich hier: Wer keine Geschichte erzählen kann, nimmt Zuflucht in die Kunstbeflissenheit...

- Repeat Performance (1947)
Eine seltsame Mischung aus Fantasy und Film-Noir. Nachdem eine juge Frau am Sylvesterabend ihren Ehemann erschossen hat, erhält sie die Chance, das alte Jahr nochmals zu durchleben und begangene Fehler zu vermeiden.
Hier wurde ein interessantes Thema durch mangelndes Talent auf allen Ebenen verschenkt.

- Topper - das blonde Gespenst (Topper, 1937)
Schlichtweg zu albern! Constance Bennett und Cary Grant als reiches Screwball-Paar, das ihre Umgebung mit kindischem Gehabe nervt und nach einem Unfall als Geister einen Bankdirektor auf den "richtigen" Weg bringen will... So ein Film glänzt natürlich nicht gerade durch nuancierte Figurenzeichnung.


1 Kommentar:

  1. Danke für den Tipp, ist nur hierzulande leider nicht auf DVD erschienen. Eine seiner Neuverfilmungen ist aus den 60er Jahren, da besteht zumindest 'ne Chance dass der was taugen könnte. Und Pidax brachte ihn mal auf DVD heraus. Vielleicht schaue ich die Tage mal rein, habe den in der Sammlung. Ist nur schade ohne den Vergleich des hier besprochenen Originals. :/

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